Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Kapitel 1
    Der Mann brannte. Rote und orangefarbene Flammen züngelten aus seinen Kleidern, zehrten von seiner Haut und verbrannten sein Haar. Das Licht war so grell, dass es vielen der Zuschauer die Tränen in die fassungslos aufgerissenen Augen trieb, und der Gestank nach brennendem Stoff, verschmortem Haar und schmelzendem Fleisch war unerträglich. Das Feuer hatte bereits seine Fingernägel schmelzen lassen und die Haut von seinen dürren Fingern gefressen, sodass das rohe Fleisch und hier und da auch schon der weiße Knochen zum Vorschein kamen. Seine Augenlider waren verschmort und die Augäpfel darunter zu blinden weißen Kugeln geworden, und auch die Lippen waren längst aufgeplatzt, schwarze Narben in einem Gesicht, das kaum noch als solches zu erkennen war. Trotzdem bewegten sie sich, und nicht einmal das Prasseln der Flammen und das entsetzte Raunen und Flüstern der immer größer werdenden Menschenmenge konnte die gestammelten Worte übertönen, die der Mann hervorstieß, wo man doch eigentlich Schreie unerträglicher Qual erwartet hätte.
    »Das ist interessant«, sagte Abu Dun.
    Interessant? Andrej musste sich beherrschen, um nicht etwas zu sagen, was er vermutlich schon bereuen würde, bevor er es ganz ausgesprochen hatte. Stattdessen zwang er sich, den schrecklichen Anblick nicht nur weiter zu ertragen, sondern sogar genauer hinzusehen. Fast meinte er, die entsetzlichen Schmerzen dieses Mannes, der bei lebendigem Leibe verbrannte, selbst zu spüren. Er hatte Unzählige sterben sehen, manche auf schlimmere und noch sehr viel qualvollere Art … aber was diesem armen Burschen da vor den Augen der gierig gaffenden Menge geschah, das tat er sich selbst und aus freien Stücken an!
    Viel mehr noch als dieses grausige Schauspiel jedoch interessierte Andrej die junge Frau, die diesen besonders einfallsreichen Selbstmörder begleitete. Da war etwas an ihr, das ihn irritierte, ohne dass er genau sagen konnte, was.
    »Ich meine ja nur«, fuhr Abu Dun fort, als er wohl einsah, dass Andrej sich nicht auf eine – ohnehin fruchtlose -Diskussion einlassen würde, aber auch nicht bereit, so leicht aufzugeben, »dass es zumindest eine originelle Methode ist, sich selbst von dieser in die nächste Welt zu befördern, falls es sie gibt und wie immer sie auch aussehen mag. Wenn auch gewiss nicht die angenehmste.« Erzog eine Grimasse. »Er muss gute Gründe gehabt haben, diesen Weg zu wählen … aber vielleicht ist er ja auch einfach nur verrückt.«
    Andrej glaubte weder das eine noch das andere. Verzweifelte Menschen waren imstande, die unglaublichsten (und schrecklichsten) Dinge zu tun, aber er hatte den Mann bereits im Auge gehabt, bevor er mit seiner grausigen Vorstellung begonnen und sich selbst laut betend mit Öl Übergossen hatte, das dann von der dunkelhaarigen Schönheit in seiner Begleitung in Brand gesetzt worden war. Ein erschreckender Anblick, ganz zweifellos, aber irgendetwas an der ganzen Szenerie war … sonderbar. Das Feuer war echt, die Flammen, deren Hitze er spürte, real und der Schmerz, den der bedauernswerte Mann litt, war nicht gespielt. Und trotzdem…
    »Lass uns gehen«, sagte er, den Gedanken verscheuchend. Auf der Stelle wollte ersieh herumdrehen, doch Abu Dun legte ihm eine gewaltige Pranke auf die Schulter und schüttelte den Kopf.
    »Warum so eilig, Hexenmeister?«, fragte er.
    »Warum nicht?«, gab Andrej gereizt zurück. »Seit wann macht es dir Spaß, den Qualen eines Sterbenden zuzusehen?«
    Um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen, als es ihrer beider Erscheinung ohnehin schon tat, hatte er ins Englische gewechselt, von dem er annahm, dass es keiner der Umstehenden verstand, und Abu Dun antwortete in derselben Sprache und unüberhörbar amüsiert: »Es gibt da noch eine andere Möglichkeit, weißt du?« Er deutete auf den brennenden Mann. »Der Kerl ist ein Betrüger.«
    Andrej schwieg einen Moment und starrte den laut lamentierenden Greis an. Vielleicht hatte der Nubier ja recht, vielleicht auch nicht … aber was ging es sie an?
    Er zuckte mit den Achseln und sagte laut: »Was geht es uns an?«
    Abu Dun setzte zu einer Antwort an, und hinter Andrej erscholl nun die Stimme der jungen Frau, die dem lodernden Mann bei seiner entsetzlichen Vorstellung assistierte. »Seht her! Schaut, mit welchem Mut meinen Vater der Glaube an den einzigen und wahren Gott erfüllt!« Ihren Vater? Andrej drehte sich nun doch noch einmal um und maß sie mit einem Blick, der diesmal nicht nur ihrem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher