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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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verweilt gern in alten Schlössern und Thürmen, mitten unter Kriegern, Hexen und Gespenstern; tiefe, einsame Träumereien sind die Grundfarbe, der Hauptreiz ihrer Dichtungen.
    Die Analogie unter den teutonischen Völkerstämmen ist unverkennbar. Zwar verdanken die Engländer ihrer Constitution eine gesellschaftliche Würde, die sie über ihre Mitnationen erhebt; gleichwohl finden sich bei sämmtlichen Völkern germanischen Ursprungs die nämlichen Grundzüge wieder. Von jeher zeichneten sie sich durch Unabhängigkeit und Rechtlichkeit aus; von jeher waren sie bieder und treu; und vielleicht sind es gerade diese Eigenschaften, die ihren Schriften einen Anstrich von Schwermüthigkeit mittheilen; denn ist es nicht das Schicksal ganzer Nationen, wie einzelner Menschen, für ihre Tugenden zu büßen?
    Die Ausbildung der slavischen Stämme mußte, da sie später und eilfertiger erfolgte, als die der übrigen Völker, zur Folge haben, was man bis jetzt an derselben bemerkt: mehr Nachahmung als Originalität. Das Europäische dieser Völker ist französisch; das Asiatische zu wenig entwickelt, als daß ihre Schriftsteller den wahren, ihnen angestammten Character zur Schau tragen könnten.
    Folglich giebt es im literarischen Europa nur zwei sehr deutliche Hauptabtheilungen, nämlich: die den Alten nachgeahmte Literatur, und die, welche dem Geiste des Mittelalters ihr Entstehen verdankt; jene, die ihre ursprüngliche Farbe, ihren ursprünglichen Reiz vom Heidenthume herleitet, und diese, deren Impuls und Entwickelung einer wesentlich-spiritualistischen Religion angehören.
    Man könnte mit Recht behaupten, daß die Franzosen und die Deutschen an den beiden äußersten Enden der moralischen Kette stehen, da jene die äußeren Gegenstände als den Hebel aller Ideen annehmen, und diese die Ideen für den Hebel aller Eindrücke halten. Denn obschon beide Nationen in den gesellschaftlichen Verhältnissen ziemlich nachbarlich übereinstimmen, so giebt es doch einen himmelweiten Unterschied zwischen ihnen, sobald es auf literarische und philosophische Systeme ankommt. Das intellectuelle Deutschland kennt man in Frankreich beinahe gar nicht; nur wenig dortige Gelehrte haben sich dieser Forschung unterzogen, obschon derer, die das gelehrte Deutschland beurtheilen, weit mehr sind. Jener leichte unterhaltende Ton, mit welchem man über das abspricht, was man nicht weiß, kann seine Eleganz haben, so lange man spricht, verliert sie aber, sobald man schreibt. Die Deutschen begehen oft den Fehler, was in die Bücher gehört, zum Gegenstand der Unterhaltung zu machen; die Franzosen verfallen nicht selten in den entgegengesetzten Fehler; sie geben uns zu lesen, was bloß zum Hören sich eignete. Sie haben, mit einem Worte, dergestalt alles Oberflächliche erschöpft, daß sie, dünkt mich, der Unterhaltung, und vor allem, der Abwechselung wegen, es einmal mit der Tiefe versuchen sollten.
    Ich habe es daher für nicht unvortheilhaft gehalten, dasjenige Land Europa's, wo Studium und Nachdenken so weit gediehen sind, daß man es als das Vaterland des Denkens ansehen kann, allgemein bekannter zu machen. Die Bemerkungen, worauf mich sowohl das Land selbst, als dessen Literatur gebracht, machen vier Abtheilungen aus. In der ersten wird Deutschland und seine Sitten abgehandelt; in der zweiten, Literatur und Kunst; in der dritten, Philosophie und Moral; in der vierten, Religion und Enthusiasmus. Nothwendigerweise gehen diese Gegenstände oft einer in den andern über. Der Nationalcharacter hat Einfluß auf die Literatur, Literatur und Philosophie auf die Religion. Das Ganze allein kann jeden Theil ganz darstellen; nur mußte man sich einer Scheineintheilung unterziehen, um zuletzt alle Strahlen in einen gemeinschaftlichen Brennpunkt auffangen zu können.
    Ich habe es mir keineswegs Hehl, daß ich, in der Literatur sowohl als in der Philosophie, Meinungen aufstellen werde, die mit den bisher in Frankreich herrschenden im Gegensatz stehen. Immerhin! mögen diese Meinungen richtig oder unrichtig scheinen; mag man sie annehmen oder bestreiten; genug, sie geben Anlaß zum Denken. »Denn dahin, will ich hoffen, ist es bei uns nicht gekommen, daß man um das literarische Frankreich die große Mauer von China ziehen wolle, um allen Ideen von aussen den Eingang zu verwehren.« 
    [Das hier und an andern Stellen mit Häkchen  »« Bezeichnete zeigt die von den Pariser Censoren gestrichenen Stellen an. Im zweiten Bande haben sie kein verwerfliches Wort
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