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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland
Autoren: Germaine de Staël
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hervortönten. Bei der bittern Kälte durften die Einwohner ihre Fenster nicht öffnen; doch erblickte man hinter den Scheiben traurige und heitere Gesichter, alte und junge, welche mit Freuden die Tröstungen der Religion auffaßten, die ihnen der sanfte Gesang zuhauchte.
    Die armen Zigeuner auf ihren Reisen mit Weib und Kind, tragen alte Harfen mit sich auf dem Rücken umher; sie sind von schlechtem Holze, aber ihr Ton ist harmonisch. Sie spielen darauf, wenn sie unter einem Baume auf der Landstraße ausruhen, oder vor den Posthäusern durch das wandernde Familienconcert die Milde der Reisenden rege machen wollen. In Oestreich spielen die Hirten auf einfachen aber wohlklingenden Instrumenten, angenehme Weisen. Diese Weisen und Lieder stimmen vollkommen mit dem sanften träumerischen Eindruck zusammen, den das Feld hervorbringt.
    Die Instrumentalmusik ist in Deutschland eben so allgemein eingeführt, als die Vocalmusik in Italien. Die Natur hat freilich in dieser Hinsicht, wie in so mancher andern, mehr für Italien als für Deutschland gethan. Es kostet Mühe und Anstrengung, um es in der Instrumentalmusik etwas weit zu bringen, während der südliche Himmel allein hinreicht, schöne Stimmen zu bilden; gleichwohl würden nie Männer aus den arbeitenden Classen auf die Erlernung der Musik die nothwendige Zeit verwenden können, wenn sie nicht natürliche Anlage dazu hätten. Die von Natur musikalischen Völker erhalten durch die Harmonie Gefühle und Ideen, zu welchen ihre beschränkte Lage und ihre alltäglichen Beschäftigungen ihnen nicht verstatten würden, auf andere Art zu gelangen.
    Die Bäuerinnen und Dienstmägde, die nicht Geld genug zu einem vollständigen Sonntagsstaat haben, schmücken gleichwohl Kopf und Arme mit Blumen aus. damit doch wenigstens die Einbildungskraft bei ihrem Anzuge ihr Spiel treiben möge; andere, die es weiter bringen können, tragen an Sonn- und Festtagen eine Mütze von Goldstoff, ziemlich geschmacklos, und gegen den übrigen schlichten Anzug sonderbar abstechend, auf dem Kopfe; aber diese Mütze, die schon ihre Mütter trugen, erinnert an die alten Sitten; und der feierliche Staat, mit welchem die Frauen aus der niedrigen Volksklasse den Sonntag ehren, hat etwas Ernstes, und spricht für sie.
    Man sollte den Deutschen ebenfalls für ihren guten Willen Dank wissen, anstatt sie zu belächeln, wenn sie uns durch ihre ehrerbietige Verneigungen und ihre förmliche Höflichkeit zu ehren gedenken. Sie hätten ja so leicht durch Gleichgültigkeit und Kälte jene Artigkeit und Grazie ersetzen können, die zu erreichen wir Ausländer sie für unfähig halten. Durch Verachtung gebietet man jederzeit dem Spotte Stillschweigen, denn dieser läßt sich meistentheils nur da aus, wo ihm zwecklose Anstrengungen, ihn zu entwaffnen, auffallen; aber wohlwollende Gemüther geben sich lieber dem Lachen preis, als daß sie es durch ein hohes, kaltes Wesen, welches man so leicht annehmen kann, zurückstießen.
    In Deutschland ist nichts so auffallend, als der Gegensatz zwischen den Empfindungen und den Gewohnheiten, zwischen den Talenten und dem Geschmack. Ausbildung und Natur scheinen hier noch nicht gehörig zusammengeschmolzen zu seyn. Wahrheitliebende Männer erscheinen nicht selten im Ausdruck und im Anstande gezwungen, als hätten, sie etwas zu verbergen; nicht minder oft zeigt sich die sanfte Seele unter einer rauhen Aussenseite; ja man geht noch weiter, und die Schwäche des Characters blickt hinter harten Worten und harten Formen hervor. Mit dem Enthusiasmus für Dichtkunst und schöne Künste, verbinden sich vielfältig gemeine gesellschaftliche Sitten und Gewohnheiten. Es giebt kein Land, wo die Gelehrten oder junge Studierende auf hohen Schulen es weiter in den alten Sprachen und in der Kenntniß des Alterthums gebracht hätten; und von einer andern Seite kein Land, wo altväterische Sitten und Gebräuche einheimischer wären, als in Deutschland. Die Erinnerungen aus Griechenland, der Geschmack an der Kunst, scheinen durch Correspondenz dahin gelangt zu seyn; indes die Feudaleinrichtungen, die alten germanischen Gebräuche, noch immer in großen Ehren stehen, obschon sie, zum Nachtheil der militärischen Landesgewalt, viel von ihrer vorigen Kraft verloren.
    Es giebt kein wunderlicheres Gemisch, als die militärische Ansicht von Deutschland; hier Soldaten, auf welche man mit jedem Schritte stößt; dort das eingezogene Leben, das geführt wird. Man scheuet sich vor den Beschwerden, vor der
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