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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben
Autoren: Harald Weinrich
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Staatsbürger zwar in Gewahrsam nehmen darf, aber nur unter genau definierten Bedingungen. Es darf insbesondere niemand willkürlich, das heißt, ohne richterlichen Haftbefehl und ohne Prüfung der Haftgründe, in Gewahrsam genommen und gehalten werden. Wenn man es positiv formuliert, so HAT nunmehr jeder Bürger des Landes einen Rechtsanspruch auf individuelle Freiheit.[ 1 ]
    Es dauerte noch ungefähr ein Jahrhundert, bis – nun im Plural und in Katalogform – die Freiheitsrechte der Menschen zur politischen Reife gediehen waren. Das ist im Zeitalter der Aufklärung und zunächst in den britischen Kolonien Nordamerikas geschehen, in Verbindung mit dem Kampf dieser Territorien um ihre Unabhängigkeit von der englischen Krone und für ihre Selbständigkeit als Vereinigte Staaten von Amerika.
    Unter den grundlegenden Dokumenten, in denen diese Rechte zum erstenmal mit klarem Bewusstsein kodifiziert worden sind, ist an erster Stelle das Manifest zu nennen, das von dem dreiunddreißigjährigen Thomas Jefferson verfasst und unter dem Titel
The Virginia Declaration of Rights
am 12. Juni 1776 verabschiedet worden ist. Das Dokument beginnt in seinem ersten Artikel wie folgt:
    That all men ARE by nature equally free and independent and HAVE certain rights
[

];
namely, the enjoyment of life and liberty, with the means of acquiring and POSSESSING PROPERTY , and pursuing and obtaining happiness and safety.
    [Dass alle Menschen von Natur aus gleich frei und unabhängig SIND und gewisse Rechte HABEN (…), namentlich den Genuss von Leben und Freiheit, zusammen mit den nötigen Mitteln, um EIGENTUM zu erwerben und zu BESITZEN , sowie um Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erhalten.]
    Auf dieses Manifest nimmt dann wenige Wochen später, am 4. Juli des gleichen Jahres, die von Repräsentanten aller dreizehn amerikanischen Bundesstaaten in Philadelphia verabschiedete
Declaration of Independence
Bezug, die den Anspruch der nationalen Unabhängigkeit noch weiter ausdehnt und neu formuliert. In diesem Text heißt es:
    We hold these Truths to be self-evident that all Men ARE CREATED equal, that they ARE ENDOWED by their Creator with certain unalienable Rights, that among these ARE Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness
[

].
    [Wir halten es für selbstverständliche Wahrheiten, dass alle Menschen gleich GESCHAFFEN SIND und von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten AUSGESTATTET SIND , als da SIND Leben, Freiheit und Glücksstreben.]
    In diesem zentralen Textabschnitt des großen Freiheitstextes von 1776 findet sich nicht mehr das Verb HABEN . Es ist der frommen Rhetorik zum Opfer gefallen («e
ndowed by their Creator»
). Doch ist die gemeinte HABEN -Prädikation auch in dieser synonymischen Gewandung noch deutlich zu erkennen.
    *
    Ein weiterer Zeitsprung um fast zwei Jahrhunderte soll uns noch näher an die Gegenwart heranführen. Man schreibt das Jahr 1948. Der Zweite Weltkrieg liegt nur ein paar Jahre zurück. Aber die Vereinten Nationen, die als Lehre aus den schrecklichen Erfahrungen dieses Krieges entstanden sind, haben die Arbeit aufgenommen. Eine ihrer ersten Aufgaben hat diese Weltorganisation darin gesehen, einen neuen Katalog der Menschenrechte aufzustellen. Er wurde als «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» am 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Paris verabschiedet.
    Nach einer ausführlichen Präambel besagt diese Erklärung in ihremersten Artikel, mit deutlichem Anklang an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung:
    Alle Menschen SIND frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie SIND mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
    Danach geht der Text in seinen nächsten Artikeln vom SEIN zum HABEN über. Der dritte Artikel lautet kurz und knapp, aber mit deutlichem Rückgriff auf die
Habeas Corpus
Akte: «Jeder HAT das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.» Auch dem Eigentum ist ein HABEN -Recht gewidmet: «Jeder […] HAT das Recht auf Eigentum.» Und der erste Satz des Artikels zur Versammlungsfreiheit lautet: «Alle Menschen HABEN das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen.» Als letztes schließlich noch ein Blick auf den ersten Satz des Artikels 29 dieser Grundrechte, der die wichtige Neuerung bringt, außer den Rechten der Menschen auch Pflichten zu formulieren: «Jeder HAT Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die
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