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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben
Autoren: Harald Weinrich
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Präsidenten als Person zugeschriebene – Bild von den zwei Sorten Völker zurück, etwas kleinlauter nun schon, wenn auch immer noch großtönend:
    Der amerikanische Präsident und seine plutokratische Clique haben uns die Völker der HABENICHTSE getauft. Das ist richtig! Die HABENICHTSE aber wollen leben, und sie werden auf alle Fälle erreichen, dass das Wenige, das sie zum Leben besitzen, ihnen nicht auch noch von den Besitzenden geraubt wird.
    So klein hier inzwischen die HABENICHTSE durch die ersten schweren Rückschläge des Kriegsverlaufs geworden sind, so rafft sich ihr oberster Vertreter in den letzten Sätzen seiner Rede doch noch zu seiner alten Groß-Rhetorik auf, wenngleich mit einem Schuss falscher Demut vor der «Vorsehung»:
    Der Herr der Welten HAT so Großes in den letzten Jahren an uns getan, dass wir in Dankbarkeit uns vor einer Vorsehung verneigen, die uns gestattet hat, Angehörige eines so großen Volkes SEIN zu dürfen.
    Und so, mit diesen Worten, soll es auch stehen im «unvergänglichen Buch der deutschen Geschichte». Doch einstweilen geht der Krieg weiter, und die Nachrichten werden immer schlechter für die HABEN -Bilanz des Führers und Obersten BEFEHLSHABERS der Wehrmacht. Immerhin redet er noch in den gleichen Tönen am 30. Januar 1942, am Jahrestag seiner «Machtübernahme». In dieser Rede heißt es:
    Und nun ist endlich auch der dritte Staat zu uns gestoßen, zu dem ich auch immer gute Beziehungen wollte seit vielen Jahren. Sie kennen das alle aus «Mein Kampf»: Japan! Und damit sind nun die drei großen HABENICHTSE vereint, und wir wollen nun sehen, wer in diesem Kampf die Stärkeren sind: diejenigen, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen HABEN , oder diejenigen, die alles zu verlieren und nichts zu gewinnen HABEN . […] Wir werden nun sehen, wem die Vorsehung in diesem Kampf den Siegerpreis gibt! Demjenigen, der ALLES HAT und der dem anderen, der fast NICHTS HAT , noch das Letzte wegnehmen will, oder demjenigen, der das verteidigt, was er als sein Letztes SEIN EIGEN nennt.
    Es möge mir gestattet sein, diesen Bericht über Ereignisse, die zu unserer aller Beschämung nun «unvergänglich» im Buch der deutschen Geschichte stehen, mit einer persönlichen Erinnerung abzuschließen. Ich musste im März 1945, bevor ich noch für ein paar Tage zum Militär eingezogen wurde, in ein Lager des Reicharbeitsdienstes einrücken. Es gab damals fast nur noch Arbeit zum Räumen der Trümmer, unterbrochen jedoch von regelmäßigen «weltanschaulichen Schulungen». Dort mussten wir Arbeitsmänner – daran erinnere ich mich bis heute – die in zehn Punkten mit Kreide an eine Wandtafel geschriebenen unwiderlegbaren Gründe auswendig lernen, warum wir Deutschen aus dem Krieg als Sieger hervorgehen würden. Der abschließende Punkt 10 lautete: «Wir werden die Sieger SEIN , weil wir den Führer HABEN ».

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GÜNTER EICHS LETZTE HABSELIGKEITEN
    Im Jahre 1950 erging der Preis der Gruppe 47 an Günter Eich (1907 bis 1972), mit besonderer Zustimmung zu seinem Gedicht «Inventur».[ 1 ] Dieses war noch im Gründungsjahr 1947 von Hans Werner Richter in einer Anthologie von Gedichten deutscher Kriegsgefangener zum erstenmal veröffentlicht worden. Es gehört heute, zusammen mit Wolfgang Borcherts Heimkehrerdrama «Draußen vor der Tür» (1946/47) und Paul Celans «Todesfuge» (1947) zu den Gründungsdokumenten der Nachkriegsliteratur.
    Entstanden ist das Gedicht im Frühjahr 1945 in einem jener amerikanischen Kriegsgefangenenlager, die in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs und kurz danach unter freiem Himmel errichtet wurden. Man muss sich also den Menschen, der in diesen Versen die Ich-Rolle innehat, als einen zerlumpten Kriegsgefangenen vorstellen, der den Schrecken des Krieges mit knapper Not entkommen ist. Er befindet sich am Nullpunkt seiner Existenz. Das ist für ihn der Moment, Inventur zu machen. Die sieben Strophen dieses Gedichts sind das Ergebnis dieser Inventur in Form eines Katalogs aller möglichen Gegenstände, die noch den Besitz des Kriegsgefangenen ausmachen. Hier also zunächst das Gedicht:
    Dies ist meine Mütze,
    dies ist mein Mantel,
    hier mein Rasierzeug
    im Beutel aus Leinen.
    Konservenbüchse:
    Mein Teller, mein Becher,
    ich hab in das Weißblech
    den Namen geritzt.
    Geritzt hier mit diesem
    kostbaren Nagel,
    den vor begehrlichen
    Augen ich berge.
    Im Brotbeutel sind
    ein Paar wollene Socken
    und einiges, was ich
    niemand verrate,
    so dient er als
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