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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben
Autoren: Harald Weinrich
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Frankreich, die den weitaus größten Teil der Erdoberfläche an sich gerafft haben. Ihnen stehen auf der anderen Seite die spät erwachten Völker gegenüber, «die bei dieser Weltverteilung zu kurz gekommen sind», namentlich Deutschland und Italien, diese beiden ihren Fähigkeiten nach «so starken Völker». Nun aber soll dieser Zustand ein Ende haben. Dafür bürgen mit ihren Waffen die deutschen Soldaten im Felde und mit ihrer harten Arbeit die Borsig’schen Rüstungsarbeiter.
    Eben für diesen ungerechten Weltzustand und den seit einem Jahr bestehenden Kriegszustand haben nun amerikanische Kommentatoren – so setzt Hitler seinen Zuhörern belehrend auseinander – «einen wunderbaren Ausdruck gefunden», und zwar wie folgt (Originalton Hitler):
    Es gibt zwei Sorten von Völkern, nämlich Besitzende und Habenichtse. Wir, wir Engländer, wir sind die Besitzenden, wir HABEN nun einmal 40 Millionen Quadratkilometer. Und wir Amerikaner sind auch die Besitzenden, und wir Franzosen sind desgleichen die Besitzenden, [und die anderen Völker], das sind eben die HABENICHTSE . Wer nichts HAT , der bekommt auch nichts, der soll bei dem bleiben, was er NICHT HAT . Und wer HAT , der HAT und gibt nie etwas davon ab.
    Es ist hier deutlich herauszuhören, wie der Redner seine Sätze und Redensarten der von ihm unterstellten Fassungskraft der Arbeiter anpasst. Und genau von gleich zu gleich mit diesen Zuhörern will er auch seine eigene Person sehen, denn er fährt fort:
    Nun bin ich Zeit meines Lebens der Vertreter der HABENICHTSE gewesen. Zu Hause war ich der Vertreter der HABENICHTSE . Ich habe für sie gekämpft, für die breite Masse meines Volkes. Ich stamme aus ihr, ich rechne mich nur zu ihr. Für sie bin ich eingetreten, und ich trete der Welt gegenüber wieder auf als der Vertreter der HABENICHTSE , als der trete ich auf.
    An dieser Rede ist ein historisches Detail richtig. Hitler hatte sich tatsächlich schon in vielen früheren Reden seit der «Kampfzeit» und dann in den Jahren der Aufrüstung 1933–1939 als HABENICHTS dargestellt – so penetrant, dass es im Jahre 1934 sogar seinem bis dahin treu ergebenen Parteigänger Röhm zu viel wurde. Der forderte öffentlich, die braunen HABENICHTSE sollten endlich aufhören, ihre Minderwertigkeitskomplexe zur Schau zu stellen. Diese kleine Respektlosigkeit und einige andere mehr sind ihm schlecht bekommen. Noch im gleichen Jahr wurde er in der nach ihm benannten «Röhm-Krise» (aber das war keine Krise, das war ein Massaker) auf Hitlers Befehl ermordet.
    Hitler blieb an der Macht und konnte in seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 1937 wiederum seine Erkenntnisse von einer «geistlosen Aufteilung der Welt in Besitzende und HABENICHTSE » ausbreiten. Alle diese Reden und die mit ihnen einher gehenden Verstöße gegen die Menschenrechte wurden in der Welt aufmerksam (wenn auch nicht aufmerksam genug) beobachtet und kommentiert. Und so kamen sie auch dem mit Hitler zeitgleich (seit 1933) regierenden US-Präsidenten F. D. Roosevelt zu Ohren. In einer seiner Reden wurden sie, mit gebührender Ironie, zitiert und wanderten dann 1940 als Zitat eines (damals noch neutralen) «amerikanischen Beobachters» wieder nach Deutschland zurück. Aus dieser Sicht müssen sie den inzwischen zum Führer des Großdeutschen Reiches arrivierten HABENICHTS Hitler sehr erbost haben, da sie bei Roosevelt mit einer Warnung vor den gefährlichen Überkompensationen eines Zukurzgekommenen einher gingen. Selbst in der hier schon erwähnten Rede vor den Berliner Rüstungsarbeitern ist Hitler auf diesen Schimpf eingegangen: «So einWahnsinniger, der sagt, ich HÄTTE ein Minderwertigkeitsgefühl dem Engländer gegenüber! Die sind wohl verrückt! Ich HABE niemals ein Minderwertigkeitsgefühl GEHABT .»
    Auch in den beiden nachfolgenden Kriegsjahren 1941 und 1942 hielt Hitler noch seine Brandreden, nun vorwiegend mit militärischen Themen. Doch selbst in ihnen fand er Platz für seine Rolle als Sprecher und Vorkämpfer der HABENICHTSE in der Welt. So zum Beispiel in seiner «Rede vor dem Großdeutschen Reichstag» vom 11. Dezember 1941, als der deutsche Einfall in die Sowjet-Union durch den strengen Winter und den zähen Widerstand der Verteidiger vor Moskau zum Stillstand gekommen war. Auch waren die Vereinigten Staaten inzwischen in den Krieg gegen Nazi-Deutschland eingetreten. Da kommt Hitler gerade im hochpathetischen Schlussteil seiner Rede auf das – jetzt nur noch dem amerikanischen
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