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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld
Autoren: James Sallis
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ist, eine Lüge.
    Wir waren bereits bei den letzten Zentimetern der Flasche angelangt, als er wieder etwas sagte.
    »Jagd?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Hab als Junge meinen Teil davon abgehakt. Ich glaube, das war wohl das Einzige, was mein alter Herr wirklich liebte. An den meisten Tagen kam bei uns Wild auf den Tisch. Rotwild, Kaninchen, Eichhörnchen, Wachteln und Tauben. Er hat immer auch andere Leute gebeten, sich was zu nehmen. Hat nie was anderes benutzt als eine.22er.«
    »Lebt er noch?«
    »Gestorben, als ich zwölf war.«
    »Meiner auch.«
    Ich ging rein und machte Kaffee, wärmte einen Eintopf von vor ein paar Tagen auf. Als ich mit zwei Schüsseln auf die Veranda zurückkehrte, war die Dunkelheit schon bis auf halbe Höhe der Bäume angelangt, und die Geräuschkulisse um uns herum hatte sich verändert. Insekten brummten und zirpten. Frösche unten am See sangen auf diese hohle, gequälte Weise, die für sie typisch ist.
    »Kaffee gibt’s nachher«, sagte ich. »Es sei denn, Sie wollen ihn jetzt.«
    »Nachher ist okay.«
    Wir saßen vor unserem Eintopf. Ich hatte zum Eintunken eine dicke Scheibe Brot auf jede Schüssel gelegt. Da ich das Brot vor fast einer Woche gebacken hatte und es langsam hart wurde, war das schon in Ordnung. Also löffelten, schlürften, tunkten und leckten wir eine ganze Weile. Suppe
tröpfelte übers Kinn und tropfte aufs Hemd. Ich brachte die Schüsseln hinein und den Kaffee heraus.
    »War noch nie meine Sache, groß in den Angelegenheiten anderer Menschen herumzuschnüffeln.«
    Der von den Bechern aufsteigende Dampf waberte vor unseren Gesichtern.
    »Warum man hier ist, woher man kommt, all das. Allerdings werde ich von den Leuten dafür bezahlt, dass ich mich über alles auf dem Laufenden halte. Wie bei vielen Dingen im Leben liegt auch hier das Geheimnis darin, die richtige Mischung zu finden.«
    Die Frösche hatten aufgegeben. Hatten sich inzwischen gepaart. In der Dunkelheit ausgesperrt. Hatten sich damit abgefunden, den Abend oder das Leben allein zu verbringen. Zeit, dass die Moskitos übernahmen, und sie umschwärmten uns. Ich ging hinein, um Kaffee nachzuschenken, und sagte bei meiner Rückkehr zu ihm: »Ist kein großes Geheimnis. Ich war ein Bulle. Habe elf Jahre im Gefängnis gesessen. Habe einige Jahre mehr als nützlicher Bürger verbracht. Dann hab ich mich zur Ruhe gesetzt und bin hergekommen. Gibt keinen Grund, dass die Dinge noch komplizierter werden.«
    Er nickte. »Werden sie dann aber doch immer. Liegt in unserer Natur.«
    Ich beobachtete, wie ein Moskito auf meinem Handrücken landete, einen Moment hocken blieb und dann wegflog. Eigentlich eine Maschine. Unkompliziert. Entworfen und in Bewegung gesetzt, um seine einzige Aufgabe perfekt zu erfüllen.
    »Kann ich irgendwas für Sie tun, Sheriff?«

    Er hob den Becher. »Prima Kaffee.«
    »Bringen Sie einen Topf Wasser zum Kochen, nehmen Sie ihn von der Kochstelle und werfen Sie den Kaffee hinein. Deckel drauf und ziehen lassen.«
    »So einfach.«
    Ich nickte.
    Er trank einen weiteren Schluck und sah sich um. »Friedlich hier draußen, stimmt’s?«
    »Nicht wirklich.«
    Eine Eule flog vorbei, die Füße und der Schwanz ihrer Beute baumelten herab, irgendein Nagetier.
    »Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte irgendwie gehofft, Sie überreden zu können, mir zu helfen. Bei einem Mord.«

Kapitel Zwei
    Leben, hat mal jemand gesagt, ist das, was passiert, während wir darauf warten, dass andere Dinge passieren, die nie eintreten.
    Amen!, wie Bruder Douglas gesagt hätte, wobei er, umrahmt von einem bunten Kirchenfenster, welches das Gleichnis der Talente, Maria Magdalena am Grabe und die Himmelfahrt darstellte, seine Bibel wie ein Schwert hob und schwang.
    Damals, zu Hause, inmitten der alles überwuchernden Kudzubohnen in der westlich gelegenen Talschüssel von Crowley’s Ridge und den im Osten angelegten Dämmen, die den Fluss zurückhalten sollten, war ich ein Goldkind mit einer großartigen Zukunft - wobei großartig lediglich die Flucht aus dieser Stadt und ihren beschränkten Horizonten meinte. Ich war mit Hilfe eines Stipendiums den Fluss hinunter nach New Orleans gegangen, anschließend zurück und hinauf bis nach Chicago (dem Lauf des Jazz folgend), wo, nachdem ich mir ein Forschungsstipendium gesichert hatte, Kopf und Zukunft wie zwei Zwillingsgeschosse auf eine Professur wiesen. Dann jedoch zog unser Präsident heimlich in den Krieg und nahm mich mit. Auf Ellbogen durch Grün kriechend, das noch
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