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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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weiße Furchen in die Schicht aus Ruß und Kohle auf seinem Gesicht. Will spürte, wie Chesters Körper heftig zitterte, während er kurz und flachatmig nach Luft schnappte.
    »Es ist nicht mehr weit«, brüllte er Chester ins Ohr und drängte ihn weiterzugehen. Endlich näherten sie sich dem Bereich des Waggons, wo zahlreiche Holzkisten gestapelt standen. »Cal ist gleich da drüben.«
    Sein Bruder saß mit dem Rücken zu ihnen, als sie ihn endlich erreichten. Er hatte sich keinen Zentimeter von der Stelle bewegt, an der Will ihn – inmitten einer gesplitterten Lattenkiste – zurückgelassen hatte. Der ein paar Jahre jüngere Cal besaß eine schon fast unheimliche Ähnlichkeit mit Will: Auch er war ein Albino und hatte die gleichen weißen Haare und breiten Wangenknochen – ein Vermächtnis ihrer Mutter, an die sich jedoch keiner der beiden Brüder bewusst erinnern konnte. Doch im Moment saß Cal mit gesenktem Kopf und vornübergebeugt da und rieb sich vorsichtig das Genick. Als er in den fahrenden Zug gefallen war, hatte er nicht ganz so viel Glück gehabt wie sein älterer Bruder.
    Will half Chester zu einer Holzkiste, auf die sich sein Freund schwerfällig sinken ließ. Dann beugte er sich zu Cal hinüber und tippte ihm leicht auf die Schulter, in der Hoffnung, ihm keinen allzu großen Schreck einzujagen. Schließlich hatte Imago ihnen eingeschärft, vor den mitreisenden Kolonisten auf der Hut zu sein. Doch Will hätte sich keine Sorge zu machen brauchen: Sein Bruder war derart mit seinen Verletzungen und Schmerzen beschäftigt, dass er kaum reagierte. Erst nach ein paar Sekunden und einem unhörbaren Murren drehte er sich schließlich zu Will um, wobei er sich weiterhin den Nacken massierte.
    »Cal, ich hab ihn gefunden! Ich habe Chester gefunden!«, brüllte Will über den Lärm hinweg. Cal und Chester tauschten einen Blick, sprachen aber kein Wort, da sie für jede Art von Unterhaltung zu weit auseinandersaßen. Die beiden waren sich schon einmal kurz begegnet, allerdings unter schrecklichen Umständen, mit den Styx im Nacken. Damals war für den Austausch von Höflichkeiten keine Zeit gewesen.
    Jetzt schauten beide wieder geradeaus, und Chester ließ sich mühsam von der Kiste auf den Boden sinken, wo er den Kopf in die Hände stützte. Der Weg von seinem Waggon hierher hatte ihm offensichtlich die letzten Kräfte geraubt. Cal begann wieder, seinen Nacken zu massieren; anscheinend überraschte es ihn nicht im Geringsten, dass Chester sich an Bord dieses Zugs befand – oder es war ihm schlichtweg egal.
    Will zuckte die Achseln. »Oh Mann, was für zwei Wracks!«, sagte er in normaler Lautstärke, sodass keiner der beiden ihn über das Dröhnen des Zugs hören konnte. Doch als er kurz an die Zukunft dachte, kehrten seine eigenen Ängste schlagartig zurück; es fühlte sich an, als würde irgendetwas von innen an ihm nagen.
    Nach allem, was er wusste, waren sie auf dem Weg zu einem Ort, von dem selbst die Kolonisten nur mit gedämpfter, angsterfüllter Stimme sprachen. Tatsächlich zählte es für einen Kolonisten zu den schlimmsten Bestrafungen, »in die Verbannung geschickt« zu werden und dort im wilden Ödland einem ungewissen Schicksal entgegen zu sehen.
    Und dabei waren die Kolonisten ein unglaublich zäher und abgehärteter Menschenschlag, der in der unterirdischen Welt jahrhundertelang die widrigsten Lebensumstände erduldet hatte. Wenn dieser Ort der Verbannung ihnen also schon als unerträglich erschien, wie würde es dort dann erst für sie drei werden? Will hatte nicht den geringsten Zweifel, dass ihnen erneut schwere Prüfungen bevorstanden – ihnen allen. Und es ließ sich auch nicht verleugnen, dass weder sein Bruder noch sein Freund einer weiteren Herausforderung gewachsen waren. Jedenfalls nicht im Moment.
    Will dehnte und streckte den steifen Arm und griff dann unter seine Jacke, um die Bisswunde an seiner Schulter vorsichtig zu befühlen. Er war von einem Spürhund übel zugerichtet worden, einem der scharfen Kampfhunde, die die Styx einsetzten. Und obwohl Imago seine Verletzungen behandelt hatte, befand auch er sich nicht gerade in bester Verfassung. Instinktiv warf er einen Blick auf die Kisten mit dem frischen Obst um sie herum. Wenigstens hatten sie genügend Nahrung, um bei Kräften zu bleiben. Doch ansonsten waren sie nur schlecht vorbereitet auf das, was ihnen bevorstand.
    Die Verantwortung war immens, als lasteten auf seinen Schultern schwere Gewichte, die er einfach nicht
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