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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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Chester unter einer Plane entdeckt hatte.
    Nach ein paar Minuten zog Will die Beine an und rieb sich das Knie, das von seiner ziemlich harten Landung in der Lore noch immer sehr wehtat. Chester beobachtete Wills Bemühungen, den Schmerz zu lindern, und warf ihm einen fragenden Blick zu, woraufhin Will seinem Freund mit erhobenem Daumen »Alles in Ordnung!« signalisierte und eifrig nickte.
    »Wie bist du hierhergekommen?«, rief Chester, im Versuch, sich über das höllisch laute Rattern des Zuges hinweg verständlich zu machen.
    »Cal und ich …«, brüllte Will zurück und zeigte erst über seine Schulter in Richtung Zugspitze, wo er seinen Bruder zurückgelassen hatte, und dann zur Tunneldecke über ihnen, »… sind gesprungen … Imago hat uns geholfen.«
    »Hä?«
    »Imago hat uns geholfen«, wiederholte Will.
    »Imago? Was ist das?«, rief Chester noch lauter und legte eine Hand ans Ohr.
    »Egal«, erwiderte Will, schüttelte langsam den Kopf und wünschte, sie beide beherrschten die Kunst des Lippenlesens. Er schenkte seinem Freund ein breites Grinsen und rief: »Einfach toll, dass es dir gut geht!«
    Will wollte Chester den Eindruck vermitteln, dass nicht der geringste Grund zur Sorge bestand, obwohl er selbst vor Zukunftsängsten kaum geradeaus denken konnte. Er fragte sich, ob sein Freund überhaupt wusste, dass sie in die Tiefen fuhren – an einen Ort, von dem selbst die Bewohner der Kolonie nur mit Furcht in der Stimme sprachen.
    Er drehte den Kopf und schaute auf das Waggonende hinter ihm. Die Lokomotive und die Loren waren um einiges größer als jene, die er an der Erdoberfläche gesehen hatte. Die Aussicht, wieder nach vorne zur Zugspitze zu kraxeln, wo sein Bruder auf ihn wartete, gefiel ihm gar nicht. Es war kein Spaß gewesen, den hinteren Teil des Zugs zu erreichen. Will wusste, selbst die kleinste falsche Bewegung hätte dazu führen können, dass er abgerutscht, auf den Gleisen gelandet und von den riesigen, donnernden und funkenschlagenden Rädern zermalmt worden wäre. Er mochte gar nicht daran denken. Rasch holte er tief Luft.
    »Bist du bereit?«, rief er Chester ins Ohr.
    Sein Freund nickte und rappelte sich mühsam auf. Er klammerte sich an die Hinterwand des Waggons und versuchte, sich gegen die unablässigen Schlingerbewegungen zu stemmen, während der Zug durch die zahlreichen Kurven im Tunnel ratterte.
    Chester trug die übliche Koloniebekleidung – eine Hose aus dickem Tuch und einen kurzen Mantel –, doch als der Mantel sich öffnete, erschrak Will über den Anblick, der sich ihm bot.
    Sein Freund hatte wegen seiner imposanten Figur in der Schule den Spitznamen »Schrank« oder »Chester-Kommode« getragen, doch jetzt wirkte er abgemagert, fast gebrechlich. Allerdings konnte Will sich nur allzu genau vorstellen, wie schrecklich die Zeit im Zellentrakt gewesen sein musste. Denn schon kurz nach ihrer Ankunft in der unterirdischen Welt, auf die er und Chester ahnungslos gestoßen waren, hatte ein Kolonie-Polizist sie aufgegriffen und in eine feuchte, dunkle Arrestzelle geworfen. Während Will nur etwa vierzehn Tage dort festgehalten worden war, hatte Chester viel härtere Torturen erleiden müssen – er war Monate dort eingesperrt gewesen.
    Will ertappte sich dabei, wie er seinen Freund anstarrte, und senkte rasch den Blick, von Gewissensbissen gequält. Er wusste, dass er allein die Schuld trug an allem, was Chester durchgemacht hatte. Er und niemand anderes war dafür verantwortlich, dass Chester überhaupt in die Sache hineingezogen worden war – angetrieben von seinem impulsiven Verhalten und seiner beharrlichen Entschlossenheit, seinen verschwundenen Vater wiederzufinden, hatte er ihm das alles eingebrockt.
    Chester sagte irgendetwas, aber Will verstand kein Wort. Stattdessen betrachtete er seinen Freund im Schein der Leuchtkugel, die er in der Hand hielt. Chesters Gesicht war mit einer dicken Schicht Ruß bedeckt, den der schwefelhaltige Qualm der Lokomotive hinterlassen hatte. Nur das Weiß seiner Augen leuchtete hervor.
    Es war unverkennbar, dass Chester nicht gerade vor Gesundheit strotzte. Zwischen den Rußschlieren schimmerten violette Beulen, von denen manche an den Stellen, wo die Haut aufgescheuert war, rötlich leuchteten. Seine Haare klebten ihm fettig an den Schläfen. Doch an der Art und Weise, wie Chester ihn seinerseits musterte, erkannte Will, dass er selbst kaum besser aussah.
    Aber im Moment gab es weitaus Wichtigeres zu bedenken. Will marschierte auf die
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