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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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sofort zu öffnen. Bestürzt über ihre eigene Schwäche verzog sie schließlich das Gesicht und brach das Siegel auf. Im grünlichen Lichtschein der Glaskugeln warf sie einen Blick auf das Schreiben.
    Sarah runzelte die Stirn. Die erste Überraschung bestand darin, dass die Nachricht nicht von ihrem Bruder stammte. Die kindliche Handschrift war ihr vollkommen unbekannt. Bisher hatte Tarn jeden Brief selbst verfasst. Sarahs ungutes Gefühl hatte sich als berechtigt erwiesen – sie wusste sofort, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Sie drehte den Papierbogen um und überflog die Seite bis zum unteren Ende, um nachzusehen, ob jemand den Brief unterzeichnet hatte. »Joe Waites«, sagte sie leise. Ihr Unbehagen wuchs von Minute zu Minute. Irgendetwas stimmte hier nicht: Joe hatte gelegentlich als Bote fungiert, aber die Nachricht hätte von Tarn kommen sollen.
    Beklommen biss sie sich auf die Lippe und begann zu lesen, raste durch die ersten Zeilen.
    »Oh mein Gott«, stieß sie hervor und schüttelte den Kopf.
    Fieberhaft überflog sie die erste Seite des Briefs erneut, unfähig, das Gelesene zu akzeptieren. Sie musste es missverstanden haben, sagte sie sich. Oder vielleicht handelte es sich ja auch um einen Irrtum. Aber die Nachricht war eindeutig; die schlicht formulierten Worte ließen keinen Raum für Fehlinterpretationen. Und es gab für sie auch keinen Grund, an der Aussage des Schreibens zu zweifeln – diese Nachrichten waren das Einzige, worauf sie sich verließ, die einzige Konstante in ihrem wechselhaften, unbeständigen Leben. Die Briefe gaben ihr einen Grund, überhaupt weiterzuleben.
    »Nein, nicht Tarn … nicht Tarn«, schluchzte sie.
    Wie vom Blitz getroffen, sank sie gegen die Steinbrüstung und lehnte sich gegen das Mauerwerk, um Halt zu finden.
    Zitternd holte sie Luft und zwang sich, den Rest des Briefs zu lesen, wobei sie heftig den Kopf schüttelte und ununterbrochen murmelte: »Nein, nein, nein, nein … das kann nicht sein …«
    Und als wäre die erste Seite nicht schon schlimm genug gewesen, erwies sich das Geschriebene auf der Rückseite des Briefs als zu viel für sie. Wimmernd stieß sie sich von der Brüstung ab und taumelte in die Mitte der Kammer. Sie schlang die Arme um den Körper und starrte schwankend und mit leerem Blick an die Decke.
    Und dann hatte sie plötzlich das Gefühl, aus dem Raum hinaus an die frische Luft zu müssen. In panischer Eile stürzte sie aus der Tür, entfernte sich aus dem Schutz der Brücke und taumelte zum Bachufer. Inzwischen hatte sich die Dunkelheit wie ein Tuch über die Landschaft ausgebreitet und der Regen war in ein feines, aber beharrliches Nieseln übergegangen. Blind stolperte und rutschte Sarah über das feuchte Ufergras. Sie wusste nicht, wohin sie lief, und es war ihr auch egal.
    Sie war noch nicht weit gekommen, als sie plötzlich das Gleichgewicht verlor und mit einem lauten Platscher im Bach landete. Langsam ließ sie sich auf die Knie sinken, bis das klare Wasser ihre Hüfte umspülte. Doch der Schmerz war so überwältigend, dass sie die eisige Kälte der Fluten nicht spürte. Ihr Kopf schwankte haltlos auf den Schultern, als durchlitte sie die schlimmsten Qualen.
    Und dann tat sie etwas, was sie seit dem Tag ihrer Flucht nach Übergrund nicht mehr getan hatte – dem Tag, an dem sie ihre beiden kleinen Kinder und ihren Ehemann verlassen hatte: Sie begann zu weinen. Zunächst stiegen ihr nur ein paar Tränen in die Augen, doch dann konnte sie sich nicht länger zurückhalten und die Tränen strömten ihr über die Wangen.
    Es war, als wäre ein Damm gebrochen: Sie weinte und weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte. Als sie langsam auf die Beine kam und sich gegen die steigende Strömung des Bachs stemmte, hatte sich ihr Gesicht zu einer Maske aus eisiger Wut und Entschlossenheit verzerrt. Sie ballte die nassen Hände zu Fäusten, riss sie hoch in die Luft. Und dann stieß sie einen rohen Schrei aus, der durch das ausgestorbene Tal hallte.

2
    »Also keine Schule morgen«, brüllte Will Chester ins Ohr, während der Grubenzug sie von der Kolonie wegbeförderte und immer tiefer in Richtung des Erdinneren raste.
    Im nächsten Moment brachen sie in hysterisches Gelächter aus, das jedoch nur kurz andauerte. Danach saßen sie schweigend nebeneinander, einfach nur froh, wieder vereint zu sein. Während die Dampflok über die Gleise stampfte, blieben sie reglos auf dem Boden des riesigen offenen Waggons sitzen, in dem Will seinen Freund
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