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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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wo Sarah sich wirklich sicher fühlte. Sie glaubte fest, dass niemand sie hier jemals finden würde – ob diese Annahme nun begründet war oder nicht. Langsam nahm sie das Kopftuch ab und schüttelte ihre Haare, gönnte sich einen kurzen Moment der Ruhe.
    Als sie zu einem schmalen Steinvorsprung an der Wand gegenüber dem Eingang ging, durchbrachen ihre Schritte die Grabesstille. Links und rechts der Steinbrüstung ragten zwei rostige Eisenzinken, deren Spitzen von dicken Fellfutteralen bedeckt waren, aus dem Mauerwerk.
    »Es werde Licht!«, sagte sie leise. Sie streckte die Arme aus und zog die beiden Fellhüllen gleichzeitig fort, sodass zwei leuchtende Kugeln zum Vorschein kamen, die auf den Spitzen der Zinken thronten.
    Aus den kaum nektarinengroßen Glaskugeln brach ein unheimliches grünes Licht hervor, das so grell war, dass Sarah sich die Augen abschirmen musste. Es schien, als hätte sich ihre Energie unter den Lederhüllen über einen langen Zeitraum angesammelt und nur darauf gewartet, sich einen Weg in die neu gefundene Freiheit zu bahnen. Behutsam strich Sarah über eine der Kugeln; sie spürte die eiskalte Oberfläche unter ihren Fingerspitzen und erschauderte, als hätte die Berührung eine Art Verbindung mit der verborgenen Stadt hergestellt, in der Leuchtkugeln ein alltäglicher Anblick waren.
    Der Schmerz und das Leid, das sie unter diesem Licht hatte ertragen müssen …
    Sarah zog ihre Hand zurück und tastete die dicke Staubschicht auf dem Steinvorsprung ab.
    Wie erhofft, stießen ihre Finger auf einen kleinen Plastikbeutel. Lächelnd nahm sie ihn herunter und schüttelte ihn, um den Schmutz zu entfernen. Der Beutel war zugeknotet, doch trotz der kalten Finger gelang es ihr, den Knoten schnell zu öffnen. Dann zog sie einen ordentlich gefalteten Zettel hervor, hob ihn an die Nase und roch daran. Das Papier war feucht und muffig. Instinktiv wusste sie, dass die Nachricht mehrere Monate dort gelegen haben musste.
    Obwohl nicht bei jedem ihrer Besuche eine Nachricht auf sie wartete, hätte sie sich ohrfeigen können, dass sie nicht schon früher zur Kammer gekommen war. Aber sie gestattete es sich nur selten, diesen »Briefkasten« öfter als alle sechs Monate zu überprüfen, da dieser Postverkehr für alle Beteiligten mit großen Gefahren verbunden war. Die Besuche in der Kammer waren für sie die einzige Gelegenheit, um wenigstens indirekt Kontakt zu den Menschen aus ihrem früheren Leben aufzunehmen. Und es bestand immer das Risiko, dass man den Kurier beschattet hatte, während er aus der Kolonie ausgebrochen und in Highfield an die Erdoberfläche gekommen war. Auch die Möglichkeit, dass er während der Reise von London hierher entdeckt worden war, durfte Sarah nicht außer Acht lassen. Nichts durfte als selbstverständlich hingenommen werden. Ihre Feinde waren geduldig, unglaublich geduldig und berechnend, und Sarah wusste, dass sie in ihren Bemühungen, sie zu fangen und zu töten, niemals nachlassen würden. Sie musste sie mit ihren eigenen Mitteln schlagen.
    Sarah warf einen Blick auf die Uhr. Bei jedem ihrer Besuche der Brückenkammer wählte sie sowohl beim Hin- als auch beim Rückweg immer eine andere Route, und für die Querfeldeinstrecke zum benachbarten Dorf, wo sie den Bus nach Hause nehmen wollte, hatte sie nicht viel Zeit eingeplant.
    Eigentlich hätte sie sich auf den Weg machen müssen, aber die Sehnsucht nach Neuigkeiten von ihrer Familie war einfach zu groß. Dieses Stück Papier bildete ihre einzige Verbindung zu ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrem Sohn – der Brief war für sie wie ein Rettungsanker.
    Sie musste einfach wissen, was in dem Brief stand. Erneut schnupperte sie daran.
    Doch neben ihrem Bedürfnis nach Informationen über ihre Familie war da noch etwas, das sie drängte, von der genau durchdachten Vorgehensweise abzuweichen, an die sie sich bei ihren Besuchen normalerweise immer sklavisch hielt.
    Es schien, als würde das Papier einen charakteristischen und unerfreulichen Geruch verströmen, der sich über die verschiedenen Moder- und Schimmelnoten in der feuchten Kammer hinwegsetzte, einen scharfen, unangenehmen Geruch – den Gestank schlechter Nachrichten. Ihre Vorahnung hatte ihr bis zu diesem Moment immer gute Dienste geleistet, und sie hatte nicht vor, sie diesmal zu missachten.
    Mit einem mulmigen Gefühl, das immer stärker wurde, starrte sie tief in eine der Leuchtkugeln und drehte den Brief in den Händen, während sie gegen den Drang ankämpfte, ihn
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