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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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    Mit einem metallischen Zischen schloss sich die Tür hinter der Frau, die an der Bushaltestelle ausgestiegen war. Scheinbar unberührt vom peitschenden Wind und strömenden Regen sah sie zu, wie sich das Fahrzeug ruckelnd wieder in Bewegung setzte und mit knirschendem Getriebe schwerfällig der gewundenen Straße folgte, die den Hügel hinunterführte. Erst als der Bus vollständig hinter den Rosenhecken verschwunden war, wandte sie sich dem grasbedeckten Hang zu, der sich auf beiden Seiten der Straße erstreckte. Durch den heftigen Wolkenbruch hatte es den Anschein, als würde er mit dem verwaschenen Grau des Himmels verschmelzen, sodass sich kaum sagen ließ, wo das eine anfing und das andere endete.
    Die Frau drückte ihren Mantel am Kragen fest zusammen und stieg vorsichtig über die Regenpfützen, die sich am Rand des bröckligen Asphalts gebildet hatten. Obwohl die Gegend menschenleer war, schaute sie sich wachsam um und warf beim Gehen regelmäßig einen Blick über die Schulter. Dabei war an ihrem Verhalten nichts besonders Verdächtiges -jede andere junge Frau an einem ähnlich abgelegenen Ort hätte ihre Umgebung mit der gleichen Sorgfalt beobachtet.
    Ihr Erscheinungsbild lieferte kaum einen Hinweis darauf, wer die Frau war. Der Wind blies ihr die braunen Haare ständig ins Gesicht und verdeckte ihre breiten Wangenknochen wie mit einem wehenden Schleier. Auch ihre Kleidung war vollkommen unauffällig. Jeder, der ihr begegnet wäre, hätte sie höchstwahrscheinlich für eine junge Frau aus der Gegend gehalten, die sich auf dem Heimweg zu ihrer Familie befand.
    Aber die Wahrheit hätte nicht weiter davon entfernt sein können.
    Die Frau war Sarah Jerome, eine entflohene Kolonistin, die sich seit vielen Jahren auf der Flucht befand.
    Nachdem sie der Straße ein kleines Stück gefolgt war, stieg sie plötzlich über den unbefestigten Seitenstreifen und warf sich blitzschnell durch eine schmale Öffnung in der Rosenhecke. Sie landete in einer kleinen Senke auf der anderen Seite des Dornengestrüpps, duckte sich und drehte sich vorsichtig um, damit sie die Straße sehen konnte. Geschlagene fünf Minuten hockte sie in diesem Versteck, lauschte und beobachtete hochgradig wachsam ihre Umgebung. Doch außer dem trommelnden Regen und dem Tosen des Windes war nichts zu hören. Sie war wirklich allein.
    Entschlossen band sie sich ein Tuch um den Kopf und krabbelte aus der Senke. Dann entfernte sie sich rasch von der Straße und durchquerte ein Feld, das im Schutz einer Mauer aus locker aufgeschichteten Steinen lag. Anschließend kletterte sie zügig und ohne ihr Tempo zu verlangsamen eine steile Anhöhe hinauf. Auf der Kuppe des Hügels angekommen, wo ihre Silhouette vor dem weiten Himmel deutlich zu sehen war, vergeudete Sarah nicht eine Sekunde und hastete sofort den Weg auf der anderen Seite hinunter – hinab in das Tal, das sich vor ihr öffnete.
    Um sie herum strich der Wind über das Gelände und wirbelte den Regen zu Strudeln, die an kleine Tornados erinnerten. Doch inmitten dieser windgepeitschten Umgebung rührte sich plötzlich etwas, eine Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln wahrnahm. Sarah erstarrte, drehte sich um und erhaschte einen kurzen Blick auf eine blasse Gestalt. Ein eisiger Schauer jagte ihr über den Rücken … Diese Bewegung passte nicht zum wogenden Tanz der Heidekräuter und dem heftigen Nicken der Gräser – sie hatte einen vollkommen anderen Rhythmus.
    Sarah fixierte die Stelle, bis sie schließlich sah, worum es sich handelte: Dort am Talhang kam ein junges Lamm in Sicht, das zwischen den hohen Grasbüscheln wild umhertollte. Doch im nächsten Moment machte es einen Satz und sprang hinter ein Gestrüpp aus verkrüppelten Bäumen, als hätte es vor irgendetwas Angst. Sarahs Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Was hatte das Lamm vertrieben? War noch irgendjemand in der Nähe – vielleicht ein anderer Mensch? Ihr gesamter Körper versteifte sich, und sie atmete erst auf, als das Lamm erneut auftauchte, diesmal in Begleitung seiner Mutter, die mit geistesabwesendem Blick wiederkäute, während sich das Lamm an ihre Seite kuschelte.
    Auf Sarahs Gesicht zeigte sich keine Spur von Erleichterung oder Belustigung. Ihr Blick ruhte nicht länger auf dem Lamm, das nun wieder umhertollte und sein prachtvoll weißes Fell präsentierte, welches sich deutlich vom groben, mit Schlamm bespritzten Wollpelz des Mutterschafs unterschied. Für solche Zerstreuungen war in Sarahs Leben kein Platz, weder
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