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TTB 117: Lichter des Grauens

TTB 117: Lichter des Grauens

Titel: TTB 117: Lichter des Grauens
Autoren: Hans Kneifel
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schnell und lautlos zur rechten Tür, öffnete sie und sagte: »Miß Greenborough – bitte.«
    Die Kamera fuhr herum. Millionen sahen das Bild.
    Eine Frau kam herein. Sie wirkte fremd, denn dort, wo sie bisher gelebt hatte, galten andere Verhältnisse. Dort mutierten die Menschen manchmal.
    Die Frau trug den Kopf hocherhoben; ein doppelter Wirbel dunkelblauen Haares umrahmte das Gesicht mit den weit auseinanderstehenden Augen, deren Farbe ein dunkles Grün war. Kristalle schienen in den Pupillen zu blitzen. Ein Kleid aus Grobleinen mit einem Gürtel aus unbekanntem Material vervollständigte den fremdartigen Eindruck. Die Frau war mehr apart als schön. Sie ging auf den Zeugenstuhl zu, nickte hinauf zu Beaujeu und setzte sich.
    »Eine Formalität, Miß Greenborough, aber eine notwendige«, sagte der Vorsitzende mild. »Ich bat Sie herein, um Sie zu fragen, ob sich an dem Wortlaut Ihres Protokolls etwas geändert hat.«
    Zwischen dem Ritter und der Frau schienen unhörbare Zwiegespräche stattzufinden.
    »Es hat sich nichts geändert, Euer Gnaden«, sagte die Frau mit einer dunklen, sehr deutlichen Stimme.
    »Nichts, das dem Ausgang der Verhandlung eine andere Richtung geben könnte?«
    »Nein – nichts, Euer Gnaden.«
    Die Stimme drang, obwohl nicht laut, bis in den hintersten Sitz des Auditoriums.
    »Ich danke Ihnen. Würden Sie bitte wieder draußen warten?«
    »Selbstverständlich, Euer Gnaden.«
    Die Linse der Kamera folgte der Frau mit den blauen Haaren, bis sich die schmale Tür hinter ihr geschlossen und der Robot seinen Platz wieder eingenommen hatte. Das zuversichtliche Lächeln des Verteidigers erlosch.
    »Bitte, den Angeklagten hereinzubringen.«
    Die linke Tür öffnete sich. Der Robot führte einen Mann, nicht älter als fünfundzwanzig, herein. Der Angeklagte blieb stehen; er trug keine Fesseln. Er, den man bis hierher gebracht hatte, floh nicht, wollte nicht fliehen, selbst, wenn man ihm Gelegenheit dazu geboten hätte.
    »Angeklagter«, sagte Ritter Beaujeu mit seiner alten Stimme, »Sie haben hier die allerletzte Chance, Ihr Geständnis zu ändern oder zu widerrufen. Ist Ihnen etwas eingefallen, was den Ausgang der Verhandlung beeinflussen könnte?«
    Die Stimme des Angeklagten war leise, aber die Lautsprecher machten sie verständlich.
    »Nein«, sagte er, »nein, Euer Gnaden.«
    Auch er war blauhaarig und grünäugig, breit und sportlich gebaut und sorgfältig in einer fremden Mode gekleidet.
    »Sie stehen zu jedem Wort Ihrer Aussage?«
    »Ja, Euer Gnaden.«
    »Gut. Danke.«
    Der Mann fragte plötzlich: »Euer Gnaden?«
    Die schneeweißen Brauen des alten Gesichts hoben sich über den Ringen aus Kunststoff.
    »Wann ist das hier zu Ende? Ich möchte es hinter mich bringen …«
    Die Lippen des Vorsitzenden verzogen sich zu einem kargen Lächeln; ein seltener Anblick.
    »Mein Sohn«, sagte er langsam, »Sie haben getötet. Sie sind vor dem Gesetz ein Mörder; unter welchen Umständen die Tat geschah, wissen wir alle , Sie am besten. Es ist nicht mehr als gerecht, nun auch die Folgen zu tragen.«
    Ritter Beaujeu schwieg. Einen Augenblick lang glaubte man, alle Kraft verließe den gebrechlichen Körper; die Greisenhand zitterte ein wenig stärker. Dann war die Stimme wieder klar und schneidend:
    »Selbst wenn das Schauspiel noch Wochen dauert – Sie wollten vor vierzig Tagen beweisen, daß Sie ein Mann sind. Wir geben Ihnen hier die Gelegenheit dazu.«
    Renaut nickte schwer. Sein Kopf, ein Bild, das sonst nur auf goldenen Münzen zu sehen war, wies auf die Tür. Eine silbergeäderte Hand streckte sich aus. Der Robot bewegte sich auf den Angeklagten zu und führte ihn hinaus. Der junge Mann blickte zu Boden, so daß die Kamera sein Gesicht nicht erfaßte.
    »Die Verhandlung wird für zehn Minuten unterbrochen«, sagte Renaut müde und erhob sich mühselig. Zwei der sechs Nebenrichter sprangen hinzu und stützten ihn. Zwischen den dunklen Talaren ging der Greis langsam, aber hochaufgerichtet aus dem Saal. Der Tod war dem Mann näher als alles andere. Würde die ausgestreckte Hand des Sensenmannes ihn noch vor Prozeßende erreichen?
    Heute abend sollte das Urteil verkündet werden. Genau vier Männer hier in Den Haag wußten mehr. Sie wußten, daß Renaut noch eine weitaus wichtigere Erklärung abgeben würde.
    Gab es etwas Wichtigeres als Mord? Offensichtlich.
     
    *
     
    Als die Maschine zur Landung einschwebte, sah er es wieder. Unter ihm, zweihundert Meter, verband sich Sand mit
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