Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TTB 117: Lichter des Grauens

TTB 117: Lichter des Grauens

Titel: TTB 117: Lichter des Grauens
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
Lautsprecher, der zwischen den zahllosen Flaschen mit den bunten Etiketten angebracht war, kamen Gitarrenakkorde, verloren und deplaziert. Die Bar über der Eingangshalle des Flughafens war fast leer.
    »Rodrigo«, sagte Nieves, »Concierto de Aranjuez.«
    Corte nickte. »Ja, in dreißig Minuten geht die Maschine«, sagte er verdrossen. Der Himmel, sonst von strahlendem sorglosem Blau, begann sich zu überziehen; ein Streifen grauer Wolken schob sich hinter den zwei Bergen der Stadt zusammen und drängte sich zur See hin. Über ihren Köpfen orgelten die Triebwerke des Senkrechtstarters. Eine blecherne Stimme forderte in vier Sprachen bestimmte Passagiere auf, eine bestimmte Maschine zu besteigen. Der Barmann ließ ein Glas fallen; es klirrte laut.
    Corte blickte Nieves Vendrell an. Sie war wie er braungebrannt von den neun Tagen, die aus nichts anderem zusammengesetzt waren als aus Schwimmen, Schlafen, Wasserskifahren und Sonnen. Die Nächte waren voller Gespräche gewesen, voller Musik und getränkt mit Rotwein und jenem wunderbaren Alkohol, den man im Lande destillierte und den kaum ein Fremder trank.
    »Wie lange wird es dauern«, fragte sie und ließ sich Feuer für die Zigarette geben, »bis ich dich wiedersehe?«
    »Ich weiß es nicht genau«, erwiderte er. »Ja, noch ein Glas, por favor.« Er nickte dem Barmann zu und legte einen Geldschein auf die Theke.
    »Warum?« Sie hob die Brauen.
    »Du hast gehört, was Renaut sagte, ehe ihn der Tod einholte, dem er davongelaufen war, sein langes Leben hindurch. Es werden sicherlich einige Veränderungen stattfinden. Wenn das geschieht, was ich denke. Schließlich bin ich doch der Koordinator dieses Unternehmens.«
    »Du hast aber nicht vor, dich ablösen zu lassen?« fragte Nieves beharrlich. Sie trug ein Kleid aus hauchfeinem Wildleder, das aufregend wirkte.
    »Nein – noch nicht.« Er lächelte.
    »Das freut mich. Dann habe ich sicher wieder das Vergnügen, dich auf einer deiner Dienstreisen hier zu sehen …«
    »Du wirst«, meinte er ernst, »stets an der falschen Stelle und zur falschen Zeit sarkastisch. Hör zu.« Er beugte sich vor und sprach leiser. »Ich werde dir jetzt etwas sagen, was du liebenswürdigerweise nicht vergessen sollst.«
    »Juan«, unterbrach sie ihn, »du machst mich neugierig.«
    Es war das erstemal, daß sie Corte beim Vornamen nannte. Er bemerkte es, äußerte sich aber nicht, wie so oft.
    »Sofern einem Menschen die Selbstanalyse möglich ist«, begann er, »habe ich feststellen können, daß ich nicht ohne Grund diesen Job habe. Ich glaube, ich bin noch nicht erwachsen genug, um Wurzeln zu schlagen. Wenn ich aber eines Tages zur Ruhe komme, so weiß ich jetzt, wie der Boden beschaffen sein muß. Ich glaube, hier etwas gefunden zu haben, was ich noch nicht kannte.«
    Sie sagte ruhig: »Ich freue mich, daß es mir gelungen ist, dir dabei zu helfen.«
    »Dazu hast du Gründe genug«, erwiderte er. Er trank aus und ergriff ihre Hand. Die blecherne Stimme begann mit einem neuen Satz. Corte verstand, mühsam genug, daß sein Flug angesagt wurde. Er rutschte von dem ledernen Barhocker und half Nieves auf den Boden.
    »Komm«, sagte er, »begleite mich bis zur Rampe.«
    Sie gingen durch die riesenhafte Halle, die mit berstendem, quirlendem Leben angefüllt war. Menschen aller irdischen Sprachen und Länder, Kolonisten in den farbenprächtigen Kleidern und den Kennzeichen der Mutationen standen herum. Zeitungsverkäufer hoben die Blätter hoch, und ein riesiger Neger ließ sich die Schuhe putzen. Neben der Sperre blieben sie stehen.
    »Juan?« fragte Nieves leise.
    »Si?« fragte er zurück, »ja?«
    »Hat es dir hier gefallen?« Er nickte, als er ihren zweifelnden Gesichtsausdruck bemerkte.
    »Ja. Sehr. So sehr, daß ich wiederkommen werde, sobald ich kann.«
    »Wirklich?« fragte sie.
    »Ja – wirklich. In meinem Alter lügt man nur selten, und dann niemals ohne Grund. Hätte ich einen Grund … dir gegenüber?«
    »Ich denke nicht.«
    Die Stewardeß ließ die ersten Passagiere seiner Maschine in den schweren Luftkissenbus einsteigen; die Zeit wurde knapp. Corte faßte die Hände der Frau und hob sie langsam hoch; ein Handschuh fiel zu Boden, ohne daß sie es merkten.
    »Nieves«, sagte er fast unhörbar, »ich danke dir für alles in diesen neun Tagen. Ohne Einschränkung. Es war – sehr schön.«
    Sie nickte, ohne etwas zu sagen. Sie küßten sich, dann lächelte Corte sekundenlang. Die Linien um seine Augen erschienen, und einen Moment
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher