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TTB 117: Lichter des Grauens

TTB 117: Lichter des Grauens

Titel: TTB 117: Lichter des Grauens
Autoren: Hans Kneifel
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konnte man bis zu zehn Kretins unterbringen. Dort lebten Neurotiker, Epileptiker, Debile jeder Altersstufe zwischen vier und zweiundzwanzig, Mongoloide in postoperativen Zuständen, Neurastheniker. Idiots savants , Psychopathen und ferner sämtliche möglichen Kombinationen in fast jedem Alter – nur Mißgeburten fand man nicht.
    »Die Konkurserklärung des Homo sapiens«, murmelte Corte, aber er kannte dies bereits. Nairobi, Istanbul, Bangkok … Corte holte die Koffer und ging zur Energiebarriere. Daneben stand der Ziegelbau der Pförtnerloge. Ein Fremder bekam bereits hier den entsprechenden Eindruck. Isidoro hatte die Ankunft nicht bemerkt; Corte starrte durch die Scheibe. Der Zwerg saß auf seinem hohen Spezialstuhl, hielt das Ende einer Zigarre zwischen die Zähne eines künstlichen Gebisses und hieb mit der Faust darauf. Dann öffnete er die Lippen, setzte die Zähne ein und entzündete die Zigarre. Corte klopfte an die Scheibe.
    Isidoro sah auf, grinste breit und ließ dann die Glasscheibe in den Schlitz der Marmorplatte gleiten. Er sagte:
    »Sie sind schon da, Koordinator?«
    »Nein«, erwiderte Corte, »es ist mein zweites Ich, aber mein besseres.«
    Isidoro Grilmayor kletterte von seinem Stuhl, öffnete die Tür zum Hof und hinkte heran, schloß die kleine Tür auf und sagte: »Die Dame wartet bestimmt nicht auf Sie.«
    Das Gebiß saß nicht richtig, und die Sprache des Analphabeten war undeutlich. Corte nickte und betrat die Station.
    »Was gibt es Neues, Isidoro?« fragte er.
    »Was verstehen Sie unter Neuigkeiten, Señor?«
    »Neuigkeiten sind Dinge, die sich stark von normalen Vorgängen abheben.«
    »Nichts ist neu«, sagte der Zwerg. »Alles ist alt.«
    Corte blieb stehen und blickte in die Sonne. Der Stern tauchte wie eine riesige Scheibe aus Messing ins Mittelmeer. Schlagartig wurde der Himmel zu einer Fläche transparenten Violetts. Irgendwo spielte Musik. Corte beugte sich hinunter zu Grilmayor. Mißtrauisch beäugte ihn der Gnom und kratzte sich an seinem Buckel.
    »Isidoro, mein Freund«, sagte Corte halblaut, »Sie müssen mir einen Gefallen tun. Bestellen Sie einen Tisch im La Cabana Club in Sitges. Tanken Sie den Roover auf, und benachrichtigen Sie die Dame nicht. Dafür dürfen Sie aber heute nacht unter meinem Fenster singen. Klar?«
    Isidoros Gesicht leuchtete auf.
    »Sí«, sagte er. »Erledige ich alles für Sie.«
    »Ich werde hier Ferien machen.«
    »Dann werde ich Ihr Bett überziehen müssen, Koordinator!«
    »Wenn’s möglich wäre, bitte. Meinen Schlüssel?«
    Isidoro händigte ihm einen primitiven Eisenschlüssel aus, humpelte in seine Stube; dann hantierte er am Telefonschrank und sprach mit seiner verstümmelten Stimme in den Hörer. Nichts hatte sich verändert. Ein Wasserstrahl stach senkrecht empor und überschüttete den Rasen. Sämtliche Pflanzen waren gewachsen, irgendwo sang jemand zur Gitarre. Corte lächelte schmerzlich, ging über den Steinboden der Halle und eine Wendeltreppe hinauf, schloß sein Apartment auf und stellte sich unter die Dusche. Eine Viertelstunde später klopfte Corte an die Tür zu einem anderen Apartment. Die Gitarre schwieg, und die Stimme sagte:
    »Treten Sie ein.«
    Der Flur hinter der Tür wurde hell und zeigte einen grünbespannten Schrank. Corte wandte sich nach rechts. Nieves Vendrell hatte zwischen Wohnraum und Terrasse gesessen, jetzt stand sie auf und lehnte die Gitarre an die Wand. Corte blieb in der Tür des Wohnraums stehen und sagte:
    » … grün, wie ich dich liebe, grün. Grüner Wind und grüne Zweige. Barke auf des Meeres Wasser … Warum hast du nicht zu Ende gesungen? Ich liebe Lorca.«
    Sie war mehr als überrascht. »Du? Juan w. Corte persönlich!«
    »Sehr überrascht, Nieves?« fragte er.
    »Ja. Ich erwartete dich erst morgen.«
    »Es ging reibungsloser, als ich geplant hatte. Gestern früh kam ich aus Nairobi in Den Haag an, sah einen Tag lang den Prozeß und landete heute nachmittag.«
    Er ging ihr entgegen und nahm ihre Hände; Nieves lehnte sich leicht gegen ihn.
    »Wie lange bleibst du?«
    »Neun Tage. Ich habe Urlaub.«
    »Ich habe extra einen Empfänger aufstellen lassen. Renaut wird, so denke ich, alle Geheimnisse lüften.«
    Er nickte. »Ja. Aber sprechen wir heute nicht von der Arbeit – ich bin ausschließlich, heute wenigstens, privat hier. Sehr privat.«
    »Du hast Privatleben?«
    »Gelegentlich.« Er lächelte. »Wie ich dich zu kennen glaube, befinden sich zwei Liter Sangria in deinem Kühlschrank. Ist das
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