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TS 50: Die Roboter und wir

TS 50: Die Roboter und wir

Titel: TS 50: Die Roboter und wir
Autoren: Martin (Hrsg.) Greenberg
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traurigen Reden von L-1716 anzuhören. Der Rost hatte ihn angefressen, und bald würde er wie G-3a sein: alt und restlos verbraucht. Dann bliebe er, X-120, allein zurück.
    Eiskalte Furcht ergriff von X-120 Besitz. Er wollte nicht allein auf der Welt zurückbleiben.
     
    Er schritt weiter. Irgendwo in den Zweigen flatterten aufgeregt Vögel. Ein wildes Kaninchen schrak auf und versuchte, zwischen seinen Beinen hindurch zu entkommen. Sein langer Arm schwang blitzschnell, und das kleine Tier wurde von dem Anprall zerschmettert. Instinktiv zertrat er es mit dem Fuß.
    Und dann fühlte er mit einemmal Bedauern und Scham über seinVerhalten. Schweigend ging er weiter. Der Tag war ihm verdorben, denn er wollte nicht mehr töten. Aber immer wieder tat er es doch, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Warum? fragte er sich. Warum muß ich töten?
    Er folgte einem deutlichen Pfad durch den Wald. Hier mußte oft jemand gegangen sein, denn frisch gebrochene Zweige bedeckten den Boden. Und dann erreichte er die zerfallenen Mauern eines Hauses, umgeben von einem total verwilderten Garten, nur noch durch Mauerreste erkenntlich.
    Neben einer zerbrochenen Brunnenfassung fand er, was er suchte: die Marmorstatue eines Kindes. Sie war noch gut erhalten, wenn auch Wind und Wetter ihr Äußeres verfärbt hatten. Irgend etwas an dieser Skulptur faszinierte X-120 immer wieder, aber er schämte sich auch seiner Gefühlsregungen.
    Er hätte sie niemals zu erklären vermocht. Die Marmorgestalt erinnerte ihn an all die Dinge, die der Mensch einst geschaffen und besessen hatte. Sie gemahnte ihn daran, daß der Mensch auch etwas anderes hatte tun können, als nur zu vernichten. Und sie überzeugte ihn, daß der Mensch Gaben besessen hatte, die er niemals besitzen würde.
    Lange betrachtete er die Figur, und vor seinen Quarzlinsen wurde der längst zu Staub zerfallene Künstler wieder lebendig. X-120 wanderte zum nahen Waldbach und kehrte mit einem großen Klumpen Ton zurück. Seit vielen Jahren schon versuchte er, die Marmorskulptur nachzubilden. Noch einmal wollte er es tun, heute. Aber seine messerscharfen Metallklauen waren nur zu einem fähig: zum Töten. Vergeblich formten sie den Ton.
    Als die Sonne sank, stieß X-120 den unkenntlichen Gegenstand von sich, den er geschaffen hatte. Langsam und voller Gedanken kehrte er zur Ruinenstadt zurück.
    In der Nähe der Halle traf er L-1716. Gemeinsam betraten sie den dämmerigen Raum, riefen G-3a und berichteten ihm von ihren Abenteuern.
    Aber G-3a gab keine Antwort.
    Sie fanden ihn reglos in einer Ecke, alle Glieder von sich gestreckt.
    Der Rost hatte endlich gesiegt.
     
    Der zarte Frühling hatte sich in einen schüchternen Sommer verwandelt.
    An einem ruhigen und schönen Nachmittag kehrten die beiden letzten Roboter zu ihrer Halle in der Ruinenstadt zurück. L-1716 bewegte sich nur noch sehr langsam. Die gebrochenen Kabelarme schleiften hinter ihm her und wirbelten das getrocknete Laub und Staub auf.
    Unbemerkt verfingen sich zwei der Kabel in einem Baumast.
    L-1716 wurde plötzlich herumgewirbelt, stolperte und sackte in die Knie. X-120 befreite ihn, aber L-1716 erhob sich nicht.
    „Ein Kurzschluß“, murmelte er. „Eine Schraube hat sich gelöst …“
    Ein winziges Rauchfähnchen quirlte aus einem schmalen Schlitz an seiner Seite, verwehte im Wind. Aus seinem Innern drang ein Geräusch wie von einer ablaufenden Feder, das mit einem scharfen Klicken endete. Flammen und Qualm drangen aus allen Öffnungen. Wie vomBlitz getroffen fiel L-1716 zu Boden.
    Und X-120 stand über ihm und bettelte:
    „Bitte, alter, einziger Freund. Verlasse mich nicht.“
    Es war das erste Mal, daß die uralten Hügel am Stadtrand seit vielen Jahrhunderten oder Jahrtausenden eine wirkliche Gefühlsäußerung sahen. Und das letzte Mal.
     
    Erste Schneeflocken fielen langsam aus dem grauen Himmel zur Erde herab. Zwei Krähen flogen dicht unter den niedrigen Wolken dahin, ihrem fernen Nest zu. Sie schienen das einzig Lebendige auf der Welt zu sein.
    X-120 schlich langsam durch den wirbelnden Schneeschleier. Irgend etwas stimmte nicht mehr, denn er vermochte nicht, geradeaus zu gehen. Er wich vom Weg ab und beschrieb weite Kreise, die ihn kaum voran brachten. Er hätte in der Halle bleiben sollen, aber er hatte heute keine Ruhe gefunden. Den ganzen Tag war er gewandert, ruhelos und voller Gedanken.
    Weiter und weiter wanderte er, bis er eine zerfallene Mauer um einen verwilderten Garten fand. Vor einer gut erhaltenen
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