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TS 44: Die Milliardenstadt

TS 44: Die Milliardenstadt

Titel: TS 44: Die Milliardenstadt
Autoren: Kurt Mahr
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er ließ es sein.
    Im Alter von acht Jahren entdeckte er einen weiteren Trakt von Räumen, der parallel zu der riesigen Halle in gleicher Höhe neben ihr dahinlief.
    Manche von ihnen besaßen nichts als lange, steinerne Tische, auf denen Glas- und sonstige Gefäße zwar ordentlich, aber offenbar nutzlos herumstanden.
    Andere verbargen ihre Wände hinter riesigen Gestellen, die mit Kassetten vollgestopft waren. Egan-Egan nahm von Zeit zu Zeit eine der Kassetten heraus, zog an dem Streifen harten, glänzenden und doch biegsamen Materials, der an einem Ende durch einen Schlitz aus dem Behältnis herausschaute, und konnte doch nichts damit anfangen.
    So grübelte er ein halbes Jahr über den Sinn dieser unterirdischen Räume nach, bis er eines Tages den Mikroprojektor fand. Es war ein Gerät, an dem man ebenso das Licht an- und abschalten konnte wie an seiner Lampe.
    Aber das war mittlerweile nichts mehr, worüber Egan-Egan sich aufregte. Wesentlich erregender war, daß das kleine Gerät, wenn man das Licht anschaltete, ein hell erleuchtetes, großes Viereck an die Wand des Raumes warf, der sein länglich ausgezogenes Vorderteil zugewandt war, und daß aus den harten Streifen der Kassetten, wenn man sie ein Stück weiter herauszog und in einen Schlitz des Apparates steckte, plötzlich große Buchstaben und Zahlen an der Wand wurden.
    Egan-Egan hatte, schon als er mit fünf Jahren zum ersten Male in die Unterwelt stieg, das Einheitsalphabet seiner Sprache beherrscht. Es bestand aus fünfzehn Zeichen, und Egan-Egan bemerkte bald, daß die Schrift, deren man sich hier bedient hatte, wesentlich reichhaltiger war als die, die er kannte.
    Mit ungewöhnlichem Eifer machte er sich daran, die fremden Zeichen aus der Bedeutung der Worte, von denen er die meisten verstand, kennenzulernen. Es war – ohne jegliche Anleitung – eine mühselige Arbeit. Sie wäre ihm leichter gefallen, wenn er gewußt hätte, daß es in einem dieser endlosen Regale Mikrobild-Kassetten gab, deren Inhalt auf seinen ganz besonderen Fall zugeschnitten war – Lehrbücher sozusagen, mit denen der Uneingeweihte, die Sprache der Aufzeichnungen lernen konnte.
    Egan-Egan jedoch bediente sich des direkten Weges. Das kostete ihn zehnmal mehr Zeit, als es andersherum nötig gewesen wäre; aber Zeit spielte für ihn so gut wie gar keine Rolle. Auf der anderen Seite verliehen diese Bemühungen seinem Gehirn noch den letzten Schliff, dessen es bedurfte, um in der Tat einmalig zu sein.
     
    *
     
    Im Alter von fünfzehn Jahren hatte Egan-Egan soviel Wissen in sich aufgehäuft, wie es auf der Erde in den vergangenen zehntausend Jahren niemals ein Mensch besessen hatte.
    Zu diesem Wissen gehörte jedoch auch die Erkenntnis, daß es nur ein verschwindend kleiner Bruchteil von dem war, was die unterirdische Bibliothek an Wissenswertem barg, und daß er alles, was die Mikrobild-Kassetten enthielten, niemals in sich würde aufnehmen können.
    Die Welt, aus der er gekommen war, erschien ihm jetzt unsagbar fremd und wesenlos. Er hatte sich so sehr in das Gedankengut jener vergangenen Generation hineingelebt, daß er sich für einen derer hielt, die jene übermenschliche Technik unter der Stadt geschaffen hatten – für die Ewigkeit geschaffen hatten; denn sie besaßen den Scharfblick, der nötig war, um die letzten Konsequenzen der non-existentialistischen Philosophie zu durchschauen.
    Daß der Mond keine Scheibe war, die am dunklen Mantel des Weltenäthers leuchtete, sondern ein Himmelskörper wie die Erde, auf der er stand, das nahm Egan-Egan hin wie die notwendige Korrektur einer Meinung, die er schon längst instinktiv als falsch empfunden hatte.
    Daß das Licht kein Geist sei, sondern eine elektromagnetische Strahlung, die man zur vertieften Betrachtung auch nach dem gleichberechtigten Partikel-Bild behandeln konnte, das hatte er ebenfalls mit einem nur geringen Maß an Erregung hingenommen, nachdem ihn die Erfahrung mit seiner Lampe bis zu einem gewissen Grade auf solche Erkenntnisse vorbereitet hatte.
    Daß jedoch die Menschheit vor mehr als zehntausend Jahren, als die ersten Nonexistentialisten ihre Stimme erhoben, sich selbst und frei von jedem äußeren Einfluß ein tiefes Grab zu schaufeln begonnen hatte, das erregte ihn bis an die Grenze seiner emotionellen Fähigkeiten.
    Da er sich – von Maschinen und Labors umgeben – zuerst für die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Vorfahren interessiert hatte, war es zunächst schwer für ihn zu verstehen
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