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TS 44: Die Milliardenstadt

TS 44: Die Milliardenstadt

Titel: TS 44: Die Milliardenstadt
Autoren: Kurt Mahr
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Es ist vielleicht falsch, alle Ursache bei dem Kind Egan-Egan, wie erstaunlich seine Fähigkeiten auch in frühester Jugend schon gewesen sein mögen, allein zu suchen. Tatsache ist, daß sich in der Kasten-Epoche besonders unter den Angehörigen der niedersten Kaste erstaunliche Frühreife mit einer noch viel erstaunlicheren Naivität zu einer Mischung paarte, durch die allein die Kastengesellschaft überhaupt erst leben konnte. Diesen Menschen schienen simple Dinge wie Licht, Wasser und Nahrung Gottheiten ähnlich zu sein, die nur zu den Zeitpunkten zu ihnen kamen, die sie, die Gottheiten, für richtig hielten. Zu glauben, man könne Licht einfach an- und abschalten, einen Wasserspender betätigen, oder Nahrung zu sich zu nehmen, wann es einem beliebe, wurde damals für absurd gehalten.
    Was den jungen Egan-Egan über die Maße seiner viertkastigen Mitmenschen hinaushob, war lediglich ein völliger Mangel an Vorurteilen. Sein Verstand war ausgeprägt genug, um nicht an einer Lampe zu verzweifeln, die man wirklich und entgegen aller Erfahrung ein- und ausschalten konnte. Sein Gehirn war groß genug, um all das in sich aufzunehmen, was sich ihm seit seiner ersten Entdeckungsreise in die bisher unbekannte Unterwelt seiner Stadt an Neuem bot. Er kam niemals in die Gefahr, vor einem der Aero-Kompressoren, die damals die Städte mit Frischluft versorgten und die verbrauchte Luft wieder aufbereiteten, zu stehen und zu sagen: Dich gibt es nicht, weil es dich nicht geben kann.
    Egan-Egan besaß eine Frühreife, die sich nicht wesentlich von der seiner Mitmenschen unterschied. Was ihn jedoch wirklich von ihnen trennte, war der absolute Mangel an Naivität, wenn man unter Naivität das Verharren unter anerzogenen und vererbten Vorurteilen verstehen will. Von dem Tag an, da er jene Lampe gefunden und sich mit ihr abgefunden hatte, bestand für ihn kein Anlaß mehr, so zu werden, wie seine Mitmenschen …“
    Was auch immer der Grund sein mochte – es stand fest, daß es zur Schaffung des Kasten-Zeitalters einer ausgefeilten Philosophie und Milliardenscharen hysterischer Menschen gebraucht hatte. Das Ende dieser Epoche jedoch wurde von einem einzigen Mann herbeigeführt: Egan-Egan.
    Der Junge spürte kein Verlangen mehr, in seine gewohnte Welt zurückzukehren, nachdem er gesehen hatte, daß er sich selbst unterhalten konnte. War es vorerst auch nur kindliche Neugierde, die ihn dazu bewog, die riesige unterirdische Halle zu seinem festen Quartier zu nehmen, so wuchs mit der Zeit aus dieser Neugierde doch der ernsthafte Wunsch, all das zu verstehen, was es hier unten gab.
    Seit jenem Jahr hielt sich unter den Bewohnern des viertkastigen Teils der Stadt N-ork hartnäckig das Gerücht, es gebe in der Stadt einen Geist, der in verkehrsarmen Straßen mit einer fürchterlichen Waffe bewaffnet umherschleiche und jeden verhexe, der ihm in den Weg kommt. Egan-Egans Glück war dabei, daß erstens sowohl Trond-Trond als auch Elf-Elf niemandem etwas von ihrer Begegnung erzählt hatten und daß zweitens die Goldene Regel verbot, an andere Geister zu glauben als sie, die von ihr selbst sozusagen legitimiert waren – wie das Wasser, das Licht und ähnliche Dinge.
    Es gab demzufolge niemals eine Jagd auf Egan-Egan. In Ruhe und Frieden konnte er sich seinen Forschungen widmen und neuen Proviant besorgen, wenn der alte ausgegangen war. Die Silos der 1. Straße bargen mehr Nährbrei, als er jemals würde verzehren können.
    Mit der Zeit jedoch war er gezwungen, sich auch andere Dinge zu beschaffen. Er brauchte Wasser, um sich zu waschen, Kleider, Schuhe und viele andere Dinge mehr.
    Zu dem Zeitpunkt, als er sich aufmachte, um diese Dinge zu stehlen, kannte er jedoch das Gewirr der zwischen den Mauern der Stadt hindurchlaufenden Kanäle schon so gut, daß ihm niemand mehr etwas anhaben konnte.
     
    *
     
    Als er zwei Jahre älter war, wußte er eine Menge mehr über die große Halle. Er wußte, daß die „Dinge“ es waren, die die Frischluft für die ganze Stadt produzierten. Er wußte, daß die Halle, durch Zwischenwände in Zellen aufgeteilt, unter der ganzen Stadt dahinlief. Er war ein einziges Mal bisher oben am Rand der Stadt gewesen, wo von Türmen aus der Blick weit hinaus über das Land schweifen konnte, und hatte sich überlegt, ob er nicht einen Weg suchen soll, um dort hinauszukommen. Dann fiel ihm ein, daß er draußen keinen Nährbrei finden würde und daß es vielleicht schwer sein mochte, sich an andere Nahrung zu gewöhnen, und
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