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TS 27: Verpflichtet für das Niemandsland

TS 27: Verpflichtet für das Niemandsland

Titel: TS 27: Verpflichtet für das Niemandsland
Autoren: Milton Lesser
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traumatisch, wie er es sonst gewesen wäre. Er wußte nicht, wann sie gestorben war. Lucy-Sophia erschien als etwas so Wirkliches, daß er nicht wußte, wo er zu lieben aufhören und zu hassen anfangen sollte.
    Und das Mädchen, das russische Mädchen hatte sein Leben gerettet. Weshalb? Er konnte auch darauf nicht antworten, es sei denn, es war, wie Charles es angedeutet hatte: Sophia hatte Lucy so sorgfältig beobachtet, hatte alle ihre Wünsche gelernt, ihren Geschmack und ihre Abneigungen, hatte sich jeden auch noch so geringfügigen Charakterzug angeeignet, daß Sophia dem Wesen nach zu Lucy geworden war.
    Das alles, dachte Temple, machte es nur umso schwerer, Sophia zu suchen und zu töten.
    Das war die Antwort, die einzige Antwort. Temple verspürte einen dumpfen Schmerz an der Stelle, wo sein Herz schlagen mußte, einen Druck, ein Pochen, einen unangenehmen, ungewohnten Mangel am Gefühl. Wenn er seine Geschichte dem F. B. I. meldete, dann bestand kein Zweifel daran, daß Charles, Sophia und wer sonst noch mit ihnen an dieser Sache gearbeitet haben mochte, verhaftet werden würden, aber er, Temple, würde sich ein Leben lang mit einem unstillbaren Rachedurst abquälen müssen. Er mußte ihn jetzt löschen und dann Bedauern darüber empfinden, damit er wieder genesen konnte. Er mußte ihn mit Sophias Blut löschen … allein.
     
    *
     
    Eine Woche später fand er sie an ihrem See. Er hatte überall nach ihr gesucht, es schon beinahe aufgegeben und wollte die Sache der Polizei übergeben. Aber er mußte nachdenken, und der See war der geeignete Platz dafür.
    Offensichtlich hatte Sophia denselben Gedanken. Temple parkte den Wagen auf der Straße und ging langsam zu Fuß durch den Wald, in dem die Strahlen der Sonne funkelten und tanzten. Er hörte das Wasser plätschern, vernahm die Geräusche der wenigen kleinen Tiere, die durch das Unterholz vor ihm davonsprangen; da sah er Sophia.
    Sie lag in Shorts und Büstenhalter auf dem Felsen, auf dem sie immer in der Sonne gelegen hatten. Sie schien völlig entspannt. Eine Zeitschrift lag umgekehrt auf dem Felsen neben ihr und dicht daneben eine Sonnenbrille. Sie hatte ein Knie angezogen und das andere Bein lang ausgestreckt. Ein Arm schützte die Augen vor der Sonne, der andere lag an ihrer Seite. Als er sie so sah, spürte Temple den Druck seiner Pistole im Halfter unter seinem Arm. Er konnte sie herausziehen und sie erschießen, ehe sie auch nur seine Gegenwart bemerkt hatte. Würde er sich dann besser fühlen? Vor fünf Minuten noch hätte er ja gesagt. Jetzt zögerte er. Sie töten, sie, die ebensosehr Lucy schien wie er Temple? Eine Kugel in ihren Körper jagen, den er gekannt hatte und liebte oder aber den Körper, der so sehr danach aussah, daß er den Unterschied nicht mehr feststellen konnte?
    Morden – Lucy?
    „Nein“, sagte er laut. „Ihr Name ist Sophia.“
    Das Mädchen richtete sich erschreckt auf. „Kit“, sagte sie.
    „Lucy.“
    „Auch du kommst zu keinem Schluß.“ Sie lächelte genau wie Lucy.
    Benommen setzte er sich neben sie auf den Fels. Sie zog ein Paket Zigaretten unter der Zeitschrift hervor, steckte eine an, bot sie Temple an, zündete eine andere an und rauchte sie. „Was tun wir jetzt?“ wollte sie wissen.
    „Ich –“
    „Du bist gekommen, um mich zu töten, nicht wahr? Kannst du nur auf diese Weise dich wieder besser fühlen, Kit?“
    „Ich –“ Er wollte es ableugnen.
    „Leugne es nicht, bitte.“ Sie faßte in seine Jacke und zog die Pistole heraus. „Hier“, sagte sie und reichte sie ihm.
    Er nahm die Pistole, umspannte sie und ließ sie dann auf den Felsen fallen.
    „Höre zu“, sagte sie. „Ich hätte dir sagen können, daß ich Lucy sei. Wenn ich jetzt sage, daß ich Lucy bin und wenn ich es immer wiederhole, dann wirst du es mir glauben. Du würdest es mir glauben, weil du es glauben wolltest.“
    „Ja“, sagte Temple.
    „Ich bin nicht Lucy. Lucy ist tot. Aber … ich war Lucy in allem, außer selbst Lucy zu sein. Ich dachte ihre Gedanken, träumte ihre Träume, liebte ihre Lieben.“
    „Du hast sie getötet.“
    „Nein, damit hatte ich nichts zu tun. Sie wurde ermordet, ja, aber nicht von mir, Kit. Wenn ich dich jetzt frage, von wann ab Lucy nicht mehr an deiner Seite war und … wann ich ihre Stelle einnahm, könntest du es mir sagen?“
    Er hatte oft darüber nachgedacht. „Nein“, sagte er wahrheitsgemäß. „Du bist ebensosehr meine Frau wie – sie es war.“
    Sie umklammerte impulsiv seine
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