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TS 18: Der strahlende Phönix

TS 18: Der strahlende Phönix

Titel: TS 18: Der strahlende Phönix
Autoren: Harold Mead
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forderte alle menschliche Kraft, die uns zur Verfügung stand.
    Als wir bei Schultz eintraten, waren schon fast alle Beamten des Lagers dort versammelt. Hero wollte eine Rede halten, und er konnte es kaum erwarten, damit zu beginnen. Die Worte sprudelten aus seinem Mund, er geriet regelrecht in Ekstase, und die Anwesenden mit ihm. Das war seine Absicht. Immer wieder schrie er: „Der Geist! Der Geist! Der Menschengeist!“ Und ich bemerkte, daß alle Kolonisten und viele der Staatsbeamten mitgerissen wurden und in dieses Schreien einfielen. „Der Geist, der Geist, der Menschengeist!“
    Das Thema seiner Rede war für mich nicht überraschend. Aber seine Auslegung und die Verdrehung erschreckten mich. Die Kolonisten, so hieß es, waren die rechtmäßigen Erben der Insel und mußten ihr ,Eigentum’ von einer Rasse degenerierter Wilden bewohnt vorfinden, die es nicht einmal wert war, wie Tiere behandelt zu werden. Trotzdem hatten die Kolonisten mit ihnen gehandelt, ihnen ärztliche Hilfe geleistet und ihre bloße Existenz – obwohl zu leben auf dieser Insel ihnen gar nicht zustand – geduldet. Und was war der Dank dafür? „Wir müssen“, brüllte Hero, „im Namen des Menschengeistes zu unseren Waffen greifen und diese giftigen Kreaturen, die Insulaner, ausrotten. Kameraden! Brüder und Schwestern! Das Blut unserer gemordeten Freunde schreit nach Vergeltung! Wie lange wollt ihr noch warten?“
    Man muß bedenken, daß diese Rede Heros eine völlige Verleugnung des wesentlichen Prinzips war, auf welchem die Staatszivilisation sich gründete. Man mag sich daher vorstellen können, wie einigen von uns zumute war, als fast die gesamten Anwesenden – Staatsbeamte mit eingeschlossen – aufsprangen und wie hypnotisiert schrien: „Der Geist, der Menschengeist!“
    Dann ebbte das Gebrüll ab, nach und nach setzten sich die Zuhörer wieder auf ihre Plätze. Stille trat ein. Jetzt schauten alle auf Schultz – und Schultz tat eine lange Zeit nichts. Er saß da, bewegungslos, sein fetter Körper ruhte in dem Sessel, der mehr einem Thron glich. Jacobson zu seiner Rechten zitterte.
    Schultz tat nichts, und sein Schweigen, das sich ausbreitete und unheimlich wurde, verfehlte die gewünschte Wirkung nicht: die Anwesenden begannen bereits, sich närrisch vorzukommen. Aber vielleicht wartete Schultz ein bißchen zu lange. Auf jeden Fall hatte er, wie wir alle, nicht mit Jacobson gerechnet.
    Jacobson war die ganze Zeit über sitzengeblieben. Seine Hände flatterten wie immer. Als er plötzlich aufsprang, erschraken wir alle.
    Sogar Schultz richtete sich in seinem Sessel auf. Dann saßen wir alle ganz still und blickten zu Jacobson, der dort auf dem Podest stand.
    Es war ein neuer Jacobson, den wir sahen. Er stand aufrecht und wirkte nicht mehr wie eine alte Krähe mit hängenden Flügeln. Seine Hände lagen gekreuzt auf seinem Rücken, und dann begann er mit kräftiger Stimme zu sprechen.
    „Ihr seid alle Narren“, sagte er. „Und nicht einer von euch ist moralisch gesund. Ich habe euch beobachtet, wie ihr degeneriertet, und gesehen, wie ihr den Geist verspottet habt, und ich fürchtete mich, meine Pflicht zu tun. Sie“, er wandte sich an Schultz, „mit Ihren geheimen Träumen und Ihrer Machtgier! Durch Sie fiel die Entscheidung, daß Waffen zur Insel gebracht wurden. Und warum? Weil Sie niemals – auch nicht nur einen Augenblick – an den Geist glaubten. Nur an Schultz, den Geist von Schultz.“ Er stand aufrecht und zeigte plötzlich mit seinem Finger auf Hero. Seine Stimme ging in Schreien über. „Fragen Sie ihn! Fragen Sie, Schultz! Fragen Sie ihn nach seinen Plänen, die darauf hinausgingen, Sie abzusetzen, wenn die Kolonisten eingerichtet waren. Meinen Sie nicht, daß einige von Ihnen Narren genug sind, um zu glauben, daß Schultz der Geist ist? Sie großer Halbidiot mit Ihrer fleischlichen Lust, Sie böser Traum einer Herrenrasse!“ Dann wandte er sich an uns alle, die wir unter ihm standen. „Ich sage euch, diese beiden, diese gewalttätigen Männer, sie hassen sich, sie – .“
    Hero sprang auf. „Verhaftet ihn“, schrie er. Seine Stimme war knapp und schneidend. Ihm war es gelungen, die Initiative zu ergreifen. Er war im Vorteil. Schultz hatte durch sein zu langes Schweigen verspielt, er war zweifellos der klügere Mann, aber hier hatte er einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen. Kolonisten-Moralbeamte ergriffen Jacobson. Eine Panik entstand. Türen flogen auf, und die Menge stürzte hinaus.
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