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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe
Autoren: Tess Gerritsen
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über Null, Tiefsttemperaturen um minus fünf Grad –, als das Telefon klingelte.
    Sie stand auf und nahm den Hörer ab. »Hallo?«
    »Dr. Elliot? Hier spricht Rachel Sorkin, draußen an der Toddy Point Road. Ich habe hier so was wie einen Notfall. Elwyn hat sich gerade angeschossen.«
    »Was?«
    »Sie wissen schon, dieser Idiot Elwyn Clyde. Er hat bei der Hirschjagd mein Grundstück unbefugt betreten. Hat sie auch erlegt – eine wunderschöne Hirschkuh, mitten in meinem Vorgarten. Diese dummen Männer mit ihren dummen Gewehren.«
    »Was ist mit Elwyn?«
    »Ach, er ist gestolpert und hat sich in den Fuß geschossen. Geschieht ihm recht.«
    »Er muß sofort ins Krankenhaus.«
    »Tja, sehen Sie, das ist das Problem. Er will nicht ins Krankenhaus, und er will nicht, daß ich einen Krankenwagen rufe. Er möchte, daß ich ihn und das Tier nach Hause fahre. Nun, das werde ich nicht tun. Also, was soll ich mit ihm machen?«
    »Wie schlimm blutet er?«
    Sie hörte Rachel rufen: »He, Elwyn? Elwyn! Blutest du?«
    Dann war Rachel wieder in der Leitung. »Er sagt, er ist okay. Er will bloß nach Hause gefahren werden. Aber ich fahre ihn nicht, und ich fahre ganz bestimmt nicht die Hirschkuh.«
    Claire seufzte. »Ich denke, ich kann kommen und mir die Sache ansehen. Sie wohnen an der Toddy Point Road?«
    »Etwa eine Meile hinter den Boulders. Mein Name steht auf dem Briefkasten.«
    Der Nebel begann sich aufzulösen, als Claire mit ihrem Transporter in die Toddy Point Road einbog. Durch die Seidenkiefern hindurch konnte sie hier und da ein Stückchen des Locust Lake erblicken, während der Nebel wie Wasserdampf aufstieg. Schon brachen die ersten Sonnenstrahlen durch und malten goldene Tupfen auf die sich kräuselnde Wasserfläche. Auf der anderen Seite, durch die Nebelschwaden gerade noch zu erkennen, war das Nordufer des Sees mit seinen Sommerhäuschen, von denen die meisten schon für den Winter verriegelt und verrammelt waren, nachdem ihre reichen Besitzer nach Boston oder New York zurückgekehrt waren. Am Südufer, dort, wo Claire jetzt entlangfuhr, waren die bescheideneren Ferienhäuschen, einige davon kaum mehr als Zwei-Zimmer-Schuppen, versteckt zwischen den Bäumen.
    Sie fuhr an den Boulders vorbei, einem granitenen Felsvorsprung, wo sich die Teenager im Sommer zum Schwimmen trafen, und sie fand den Briefkasten mit dem Namen »Sorkin«.
    Ein holpriger Feldweg führte zum Haus. Es war eine merkwürdige, wunderliche Konstruktion mit planlos angebauten Zimmern und mit Ecken und Vorsprüngen an Stellen, wo man sie am wenigsten erwartet hätte. Über allem erhob sich ein verglastes Türmchen, wie die Spitze eines Kristalls, der das Dach durchbrach. Eine exzentrische Frau mußte wohl ein exzentrisches Haus haben, und Rachel Sorkin war eines von Tranquilitys Originalen, eine auffallende schwarzhaarige Frau, die einmal die Woche in die Stadt rauschte, angetan mit einem roten Cape mit Kapuze. Dieses Haus sah tatsächlich so aus, als könne eine Frau mit Cape dort residieren.
    Vor der Verandatreppe, direkt neben einem gepflegten Kräutergärtchen, lag die tote Hirschkuh.
    Claire stieg aus ihrem Transporter aus. Sofort schossen zwei Hunde zwischen den Bäumen hervor und versperrten ihr bellend und knurrend den Weg. Claire wurde klar, daß sie die Beute bewachten.
    Rachel kam aus dem Haus heraus und schrie die Hunde an: »Macht, daß ihr fortkommt, ihr verdammten Viecher! Ab nach Hause mit euch!« Sie schnappte sich einen Besen von der Veranda und stürmte mit fliegenden schwarzen Haaren die Stufen herunter, den Besen wie eine Lanze im Anschlag.
    Die Hunde wichen zurück.
    »Ha! Feiglinge!« sagte Rachel, während sie mit dem Besen nach ihnen stieß. Sie zogen sich in den Wald zurück.
    »He, lassen Sie meine Hunde in Frieden!« rief Elwyn Clyde, der humpelnd auf der Veranda erschienen war. Elwyn war ein Musterbeispiel einer evolutionären Sackgasse: ein fünfzigjähriger Klumpen Fleisch, in Baumwollklamotten gehüllt und zu ewigem Junggesellendasein verurteilt. »Sie tun keinem was. Sie passen bloß auf meinen Hirsch auf.«
    »Elwyn, ich habe Neuigkeiten für Sie. Sie haben diese arme Kreatur auf meinem Grund und Boden getötet, also gehört sie mir.«
    »Was wollen Sie denn mit ’nem Hirsch anfangen? Verdammte Vegetarierin!«
    Claire unterbrach die beiden. »Was macht der Fuß, Elwyn?«
    Er sah Claire an und blinzelte, als sei er überrascht, sie zu sehen. »Bin gestolpert«, sagte er, »’ne Lappalie.«
    »Eine
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