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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe
Autoren: Tess Gerritsen
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außerhalb der Stadt holte Lincoln Kelly, Polizeichef von Tranquility, seine Frau endlich ein.
    Sie fuhr etwa achtzig Stundenkilometer mit einem gestohlenen Chevy. Sie machte Schlenker nach links und rechts, und das lose Auspuffrohr schlug jedesmal Funken auf dem Asphalt, wenn die Straße abfiel.
    »Mein lieber Mann«, sagte Floyd Spear, der neben Lincoln im Streifenwagen saß. »Doreen hat heute aber kräftig getankt.«
    »Ich war den ganzen Morgen unterwegs«, sagte Lincoln.
    »Hatte keine Gelegenheit, nach ihr zu sehen.« Er schaltete die Sirene ein, in der Hoffnung, daß Doreen abbremsen würde. Sie gab Gas.
    »Und was nun?« fragte Floyd. »Soll ich Verstärkung rufen?«
    Mit »Verstärkung« war Hank Dorr gemeint, der einzige andere Polizist, der an diesem Morgen noch Streifendienst hatte.
    »Nein«, erwiderte Lincoln. »Wir wollen sehen, ob wir sie überreden können, rechts ranzufahren.«
    »Bei hundert Sachen?«
    »Häng dich an die Strippe.«
    Floyd griff nach dem Mikrofon, und seine Stimme dröhnte über den Lautsprecher: »He, Doreen, halt an! Sei so gut, Schätzchen, du wirst sonst noch jemandem weh tun!«
    Der Chevy fuhr weiter Schlangenlinien.
    »Wir könnten warten, bis ihr das Benzin ausgeht«, schlug Floyd vor.
    »Red weiter auf sie ein.«
    Floyd versuchte es wieder über das Mikrofon. »Doreen, Lincoln ist hier! Sei so gut und halt an, Schätzchen! Er möchte sich entschuldigen.«
    »Ich möchte was? «
    »Halt an, Doreen, dann wird er’s dir selbst sagen.«
    »Wovon redest du, verdammt?« rief Lincoln.
    »Frauen erwarten immer, daß der Mann sich entschuldigt.«
    »Aber ich hab doch nichts getan!«
    Vor ihnen leuchteten plötzlich die Bremslichter des Chevy auf.
    »Was hab ich gesagt?« meinte Floyd, als der Chevy langsam am Straßenrand zum Stehen kam.
    Lincoln parkte den Streifenwagen dahinter und stieg aus.
    Doreen saß über das Lenkrad gebeugt; ihr rotes Haar war wild zerzaust, und ihre Hände zitterten. Lincoln öffnete die Tür, griff nach dem Zündschlüssel und steckte ihn ein. »Doreen«, sagte er müde, »du mußt mit uns auf die Wache kommen.«
    »Wann kommst du nach Hause, Lincoln?« fragte sie. »Darüber können wir später reden. Komm jetzt mit zum Streifenwagen, Liebling.«
    Er griff nach ihrem Ellbogen, aber sie schüttelte ihn ab und versetzte ihm obendrein noch einen Schlag auf die Hand.
    »Ich will bloß wissen, wann du nach Hause kommst«, sagte sie.
    »Wir haben wieder und wieder darüber gesprochen.«
    »Du bist immer noch mit mir verheiratet. Du bist immer noch mein Mann.«
    »Und es hat einfach keinen Sinn mehr, darüber zu reden.«
    Wieder griff er nach ihrem Ellbogen. Er hatte sie schon aus dem Chevy gezogen, als sie sich plötzlich losriß, ausholte und ihm einen Kinnhaken verpaßte. Er taumelte ein paar Schritte rückwärts. Sein Kopf dröhnte.
    »He!« rief Floyd und packte Doreen an den Armen. »Jetzt ist aber Schluß, verstanden?«
    »Laß mich los!« kreischte Doreen. Sie befreite sich aus Floyds Umklammerung und holte zu einem zweiten Schlag nach ihrem Mann aus.
    Diesmal duckte Lincoln sich, was seine Frau nur noch rasender machte. Sie landete einen weiteren Treffer, bevor es Lincoln und Floyd gelang, ihre Arme festzuhalten.
    »Ich tue das sehr ungern«, sagte Lincoln. »Aber du bist heute einfach zu unvernünftig.« Er legte ihr die Handschellen an. Sie spuckte ihn an. Er wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab und führte sie dann ruhig zum Streifenwagen, wo er sie auf dem Rücksitz plazierte.
    »O Mann«, sagte Floyd. »Dir ist ja klar, daß wir ihr ein Protokoll verpassen müssen.«
    »Ich weiß.« Lincoln seufzte und setzte sich hinter das Steuer.
    »Du kannst dich nicht von mir scheiden lassen, Lincoln Kelly!« rief Doreen. »Du hast versprochen, mich zu lieben und zu ehren!«
    »Ich wußte ja auch nichts von der Trinkerei«, erwiderte Lincoln, während er den Wagen wendete.
    Sie fuhren in gemächlichem Tempo in die Stadt zurück, während Doreen die ganze Zeit wie ein Rohrspatz schimpfte. Das Trinken brachte sie dazu; es schien, als ob der Alkohol bei ihr alle bösen Geister aus der Flasche befreite.
    Vor zwei Jahren war Lincoln aus ihrem gemeinsamen Haus ausgezogen. Er sagte sich, daß er alles für diese Ehe getan hatte; zehn Jahre seines Lebens hatte er dafür gegeben. Er war keiner, der so leicht aufgab, aber schließlich hatte die Verzweiflung die Oberhand gewonnen – die Verzweiflung und das Gefühl, daß das Leben an ihm, dem
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