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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe
Autoren: Tess Gerritsen
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Wirklichkeit, die weit entsetzlicher war als der schlimmste Alptraum.
    Sie war in völliger Dunkelheit gefangen, in einem sargartig engen Raum, und sie war so desorientiert, daß sie nicht erkannte, wo oben und unten war. Alles, was sie wußte, war, daß eine Flut lähmend kalten Wassers an ihr hochstieg, an ihre Hüften schlug, dann an ihre Brust. Sie begann in Panik um sich zu schlagen und reckte instinktiv den Hals, um den Kopf über Wasser zu halten, mußte aber feststellen, daß sie gefesselt war. Sie versuchte sich loszureißen, doch ohne Erfolg. Das Wasser plätscherte jetzt schon gegen ihren Hals. Ihr Atem ging in kurzen, keuchenden Stößen, die allmählich in panisches Schluchzen übergingen.
    Dann drehte sich plötzlich alles auf den Kopf.
    Sie hatte Zeit für einen einzigen tiefen Atemzug, bevor sie merkte, wie sie zur Seite rollte, bevor das Wasser ihren Kopf überflutete, in ihre Nasenlöcher strömte.
    Die Dunkelheit, die sie verschluckte, war vollkommen, eine Welt aus flüssiger Schwärze. Unter Wasser gefangen, mit dem Kopf nach unten, begann sie wild mit den Armen zu rudern. Ihre Lungen schmerzten von Anstrengung, mit diesem letzten Atemzug auszukommen.
    Wieder krallte sie nach dem Riemen, der sich über ihre Brust zog, aber er ließ sich nicht lockern, gab sie nicht frei. Luft, ich brauche Luft! Das Blut dröhnte ihr in den Ohren, Lichtblitze explodierten in ihrem Gehirn – Alarmsignale des Sauerstoffmangels. Schon wich die Kraft aus ihren Gliedern, alle Anstrengungen waren auf das fruchtlose Ziehen an ihrer Fessel reduziert. Durch die Verwirrtheit hindurch, die sie in immer dichteren Lagen einhüllte, spürte sie plötzlich, daß sie etwas Hartes in der Hand hielt. Sie erkannte es an der Form: die Schnalle eines Sicherheitsgurts. Sie war in ihrem Auto. Angeschnallt in ihrem Auto.
    Tausende Male hatte sie diesen Gurt schon abgeschnallt, und jetzt fanden ihre Finger automatisch den Knopf. Der Gurt glitt von ihrer Brust.
    Sie trat und schlug wild um sich, hämmerte von innen gegen die Karosserie. Blind und desorientiert durch das Wasser und die absolute Dunkelheit, wußte sie nicht einmal, wo oben und unten war. Ihre panisch umhertastenden Finger streiften das Lenkrad, das Armaturenbrett.
    Ich brauche LUFT!
    Sie spürte, wie ihre Lungen rebellierten und kurz davor waren, den fatalen Fehler zu machen und Wasser einzuatmen, als sie plötzlich eine Drehung machte und ihr Gesicht aus dem Wasser auftauchte. Eine Luftblase. Sie holte einen tiefen Atemzug, dann noch einen und noch einen. Es waren nur wenige Kubikzentimeter Luft, und selbst dieser Raum füllte sich rapide mit Wasser. Noch ein paar Züge, und dann würde nichts mehr zum Atmen übrig sein.
    Durch die frische Sauerstoffzufuhr begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten. Sie unterdrückte die Panik, zwang sich dazu nachzudenken. Das Auto stand auf dem Kopf. Sie mußte den Türgriff finden, mußte irgendwie die Tür aufbekommen.
    Sie hielt die Luft an und tauchte unter. Schnell fand sie den Griff und zog daran. Sie spürte, wie der Riegel zurücksprang, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Das
    Dach des Wagens steckte zu tief im Schlamm, so daß die Tür eingeklemmt wurde.
    Keine Luft mehr!
    Sie tauchte wieder in die Luftblase auf und mußte feststellen, daß sie sich auf etwa fünfzehn Zentimeter verkleinert hatte. Während sie die letzten Sauerstoffreserven einsaugte, versuchte sie verzweifelt, sich in der verkehrten Welt zu orientieren. Das Fenster. Dreh das Fenster runter.
    Letzter Atemzug, letzte Chance.
    Sie ließ sich wieder unter Wasser sinken und tastete verzweifelt nach dem Fensterhebel. Ihre Finger waren von der Kälte inzwischen so taub, daß sie den Griff kaum fühlen konnte, selbst als es ihr schließlich gelang, ihn zu umfassen. Jede Umdrehung schien eine Ewigkeit zu dauern, aber sie merkte, wie sich die Scheibe bewegte, wie die Öffnung größer wurde. Als sie das Fenster endlich ganz heruntergedreht hatte, war ihr Hunger nach Luft unerträglich geworden. Sie zwängte Kopf und Schultern durch die Öffnung, doch plötzlich kam sie nicht mehr weiter.
    Ihre Jacke! Sie hing irgendwo fest!
    Sie ruderte mit den Armen, versuchte, sich irgendwie hindurchzuwinden, doch sie steckte fest, halb im Auto, halb draußen. Sie griff nach dem Reißverschluß und zog daran.
    Urplötzlich war sie frei und schoß nach oben, zur Oberfläche, auf den schwachen Lichtschein zu, der von oben kam.
    Sie brach durch die Oberfläche, in die Luft hinaus.
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