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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe
Autoren: Tess Gerritsen
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festen Gestalt. Ein einzelner Arm wurde im Lichtkreis der Lampe sichtbar. Dann, Zentimeter für Zentimeter, rückte ein Gesicht ins Blickfeld. Es spähte mit ängstlichen Augen über den Treppenrand. Ein Junge.
    »Meine Mom!« wimmerte Eddie Reid. »Bitte helfen Sie mir, meine Mom hier rauszukriegen!«
    Jetzt flüsterte eine Frauenstimme unter der Treppe: »Helfen Sie uns. In Gottes Namen, helfen Sie uns!«
    Lincoln stieg die Treppe hinunter und leuchtete der Frau direkt ins Gesicht. Grace Reid starrte ihn an, das Gesicht leichenblaß, die Miene starr vor Entsetzen.
    »Kein Licht«, flehte sie. »Machen Sie das Licht aus, sonst wird er uns finden!« Sie wich zurück. Die Tür des Sicherungskastens hinter ihrem Rücken stand offen. Sie hatte alle Schalter umgelegt und so im ganzen Haus den Strom abgestellt.
    Eddie zog seine Mutter in Richtung Treppe. »Mom, es ist alles okay. Wir müssen jetzt bloß raus hier. Bitte, bitte, geh doch!«
    Grace schüttelte heftig protestierend den Kopf. »Nein, er wartet doch nur auf uns.« Sie riß sich los und weigerte sich, auch nur einen Schritt zu tun. »J. D. ist da oben.«
    Wieder packte Eddie seine Mutter am Arm und zog sie zur Treppe. »Los, Mom.«
    »Wartet«, schaltete Lincoln sich ein. »Was ist mit Amelia? Mrs. Reid, wo ist Amelia?«
    Grace sah ihn mit großen Augen an. »Amelia?« murmelte sie, als sei ihr plötzlich eingefallen, daß sie eine Tochter hatte.
    »In ihrem Zimmer.«
    »Bringen wir zuerst deine Mom aus dem Haus«, sagte Lincoln zu Eddie. »Mein Streifenwagen steht gleich vor der Tür.«
    »Aber was ist mit –«
    »Ich werde deine Schwester finden. Zuerst bringe ich euch beide in den Wagen und hole über Funk Hilfe. Gehen wir. Bleibt direkt hinter mir.«
    Er drehte sich um und begann die Treppe hochzugehen. Hinter sich konnte er Grace und Eddie hören, die ihm folgten; Grace ängstlich wimmernd, Eddie beruhigend auf sie einredend.
    J. D. Sie hatten beide panische Angst vor J. D.
    Lincoln erreichte die Kellertür. Es ließ sich nicht vermeiden; er würde sie durch die blutbespritzte Küche fuhren müssen, direkt an Jack Reids Leiche vorbei. Wenn Grace hysterisch kreischend zusammenbrechen sollte, würde es hier geschehen.
    Doch Gott sei Dank gab es noch Eddie. Der Junge legte den Arm um seine Stiefmutter und drückte ihr Gesicht an seine Brust. »Gehen Sie, Chief Kelly«, flüsterte er ungeduldig. »Bitte, bringen Sie uns bloß hier raus!«
    Lincoln führte sie durch die Küche und in den Flur. Dort hielt er inne; jeder Nerv in seinem Körper signalisierte plötzlich Panik. Im Schein seiner Taschenlampe sah er, daß die Haustür offen stand. Habe ich sie zugemacht, als ich hereinkam?
    »Wartet hier«, flüsterte er und schob sich Schritt für Schritt Richtung Tür vor. Er warf einen Blick nach draußen, auf den Schnee, der im Mondlicht silbrig glänzte. Der Streifenwagen stand etwa zehn Meter von der Tür entfernt. Alles war still, reglos wie die Luft unter einer Glasglocke.
    Irgend etwas stimmt nicht. Wir werden beobachtet. Jemand lauert uns auf.
    Er wandte sich zu Grace und Eddie um und flüsterte:
    »Lauft zum Auto! Jetzt! «
    Aber Grace lief nicht. Statt dessen wich sie zurück, und als sie an dem mondhellen Fenster vorbeistolperte, sah Lincoln, daß ihr Blick nach oben gerichtet war. Zur Treppe.
    Er machte auf dem Absatz kehrt, und im gleichen Augenblick kam der Schatten auf ihn zugestürzt. Der Aufprall, der ihn auf den Rücken warf, war so heftig, daß die Luft zischend aus seinen Lungen entwich. Ein scharfer Schmerz durchfuhr seine Wange. Er taumelte zur Seite, gerade als die Messerklinge wieder herabsauste und sich neben seinem Kopf tief in die Wand bohrte. Seine Waffe hatte er verloren; sie war ihm bei der ersten Attacke aus der Hand geschlagen worden. Jetzt tastete er in der Dunkelheit wild auf dem Fußboden umher, um sie zu finden.
    Er hörte ein kurzes Quietschen, als das Messer aus dem Holz herausgezogen wurde, und wirbelte herum. Der Schatten kam auf ihn zugeflogen. Er hob den linken Arm in dem Moment, als die Hand mit dem Messer zustach. Die Klinge drang bis zum Knochen durch, und sein eigenes Aufstöhnen drang wie ein fernes, fremdes Geräusch an sein Ohr.
    Irgendwie bekam er das Handgelenk des Jungen mit der Rechten zu fassen und entwand ihm das Messer. Es fiel auf den Boden. Der Junge riß sich los und taumelte rückwärts.
    Lincoln stürzte sich auf das Messer und packte es. Sein Triumphgefühl währte nur einen Augenblick.
    Der Junge hatte
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