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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe
Autoren: Tess Gerritsen
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zum Improvisieren gezwungen wurde; er hatte diesen Schritt nicht geplant; hatte nicht vorgehabt, jemanden zu töten. Aber schließlich hatte er auch nicht damit rechnen können, daß Doreen Kelly seinen Wagen stehlen würde.
    Ein Mord zieht manchmal einen zweiten nach sich.
    Er hatte das Benzin über die Wände verteilt und warf jetzt den leeren Kanister in die Benzinlache in der Mitte der Höhle. Sie befand sich direkt unter der dichtesten Ansammlung von Würmern. Diese schienen die drohende Katastrophe bereits zu ahnen, denn sie zappelten in den aufsteigenden Dämpfen wie wild hin und her. Die Fledermäuse waren längst geflohen und hatten ihre wirbellosen Genossen ihrem Schicksal überlassen. Groome sah sich ein letztes Mal in der Höhle um und vergewisserte sich, daß er kein Detail übersehen hatte. Die letzte Kiste mit Exemplaren befand sich ebenso wie Max’ wissenschaftliche Aufzeichnungen im Kofferraum seines Wagens, der am Ende des Weges geparkt war. Er würde nur ein Streichholz anzünden müssen, und die Höhle würde mit allem, was darin war, in Flammen aufgehen.
    Das Feuer würde die Spezies mit einem Schlag auslöschen – mit Ausnahme der überlebenden Exemplare, die in den Laboren von Anson Biologicals sorgfältig gehegt wurden. Die Hormone, die diese Würmer absonderten, waren bei Verträgen mit dem Verteidigungsministerium ein Vermögen wert, aber nur, wenn sie nicht der Konkurrenz in die Hände fielen.
    Wenn diese Höhle einmal zerstört war, würde Anson im alleinigen Besitz der Art sein. Für den Rest der Welt würde diese Welle von Gewalt, wie all die früheren Wellen, ein ungelöstes Rätsel bleiben.
    Er kroch die enge Passage hinauf, die zum Ausgang führte, wobei er eine dünne Benzinspur für die Zündung hinterließ. In der Eingangskammer kauerte er sich nieder, zündete ein Streichholz an und hielt die Flamme an den Boden. Eine brennende Linie züngelte durch den Tunnel hinunter, und dann ging mit einem dumpfen Knall die untere Höhle in Flammen auf. Groome spürte den heftigen Luftzug, mit dem die Feuersbrunst den nährenden Sauerstoff ansaugte. Er schaltete die Stirnlampe aus und betrachtete einen Moment lang das Feuer, während er sich vorstellte, wie die Würmer schwarz wurden, wie ihre verkohlten Kadaver von der Decke herabfielen. Und er dachte an Max’ Leiche, von der nur ein unidentifizierbarer Haufen Knochen und Asche übrigbleiben würde.
    Er zwängte sich rückwärts aus der Höhle, trat in das eisige Bachwasser und zog die Zweige des Strauchs vor die Öffnung. Jenseits dieses dichten Waldgebiets würde von dem Feuer in der Höhle nichts zu sehen sein. Er watete durch den Bach und stolperte ans Ufer. Seine Augen waren noch vom Feuer geblendet, und er mußte sich erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen. Er schaltete die Stirnlampe ein, um zum Wagen zurückzugelangen.
    Erst als das Licht aufleuchtete, sah er die Polizisten, die mit gezogenen Waffen unter den Bäumen standen.
    Sie erwarteten ihn.
    Warren Emerson schlug die Augen auf und dachte: Endlich bin ich tot. Aber warum bin ich im Himmel? Es war eine Erkenntnis, die ihn zutiefst überraschte. Er hatte immer angenommen, daß er sich, falls es ein Leben nach dem Tod gäbe, an irgend einem dunklen und schrecklichen Ort wiederfinden würde. In einem Jenseits, das nur eine Fortsetzung seines elenden Erdendaseins wäre.
    Hier gab es Blumen. Vase um Vase voller Blumen.
    Er sah blutrote Rosen. Orchideenblüten flatterten wie weiße Schmetterlinge an ihren Stengeln vor dem Fenster. Und Lilien, deren Duft süßer war als jedes Parfüm, das er je gerochen hatte. Er betrachtete all das mit tiefem Staunen, denn er hatte noch nie etwas so Wunderschönes gesehen.
    Dann hörte er neben seinem Bett einen Stuhl knarren, und er drehte den Kopf. Eine Frau lächelte ihn an. Eine Frau, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ihr Haar war mehr silbern als schwarz, und das Alter hatte tiefe Furchen in ihr Gesicht gegraben. Aber er sah nichts davon. Als er in ihre Augen blickte, sah er statt dessen ein lachendes Mädchen von vierzehn Jahren. Das Mädchen, das er immer geliebt hatte.
    »Hallo Warren«, flüsterte Iris Keating. Sie ergriff seine Hand.
    »Ich lebe noch«, sagte er. Sie hörte den fragenden Ton seiner Stimme, und sie nickte lächelnd. »Ja. Du bist ganz bestimmt noch am Leben.«
    Er sah auf ihre Hand, die die seine umklammert hielt. Er erinnerte sich daran, wie sie ihre Finger ineinandergeschlungen hatten, damals, vor all den
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