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Tristan

Tristan

Titel: Tristan
Autoren: Martin Grzimek
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Gemahl dieser Frau, der Onkel des Neffen, der König, der über all die Menschen herrschte, der Mann, der keine Nachkommen zeugen konnte. Er starrte auf die beiden sich sogar im Schlaf noch Liebenden, wandte sich ab, und im Abwenden des Blicks schienen sich ihm die Augen zu öffnen. Plötzlich sah er all die Schmach vor sich, die er erlitten hatte, all die Pein, die er fühlte. Mit einem Mal war die Zuneigung zu seinem Neffen verflogen, die Liebe zu seiner Frau verdorrt. Nicht anders sah er die beiden vor sich: ein unrecht liebendes Paar in einem offenen Grab.
    Gegen den Zorn, der in ihm aufstieg, konnte er nichts ausrichten. Er verließ den Raum, verriegelte die Tür, postierte Wachen davor und ließ alle Lehnsmänner, die sich zu dieser Zeit in der Burg aufhielten, wecken und zu Isoldes Gemächern führen. Marke brauchte Zeugen für das Unausdenkbare, das er schon immer vermutet hatte.
     
    Verschwunden ~298~ Entflohen
     
    Tristan hatte im Erwachen ein Schaben und Klappern gehört, dann aber wieder das gleichmäßige Atmen Isoldes, das schönste aller Geräusche, das er sich vorstellen konnte, ein vollkommenes Gleichmaß. In ihrem Atmen war Gesang. Wenn Gesang sein sollte, dachte er, musste darin Atem zu spüren sein. Alles andere wäre aufgesetzt, ein falsches Luftholen. Luft holen - eine Weile schwelgte er in dieser Vorstellung. Bis er gänzlich aufgewacht war.
    Im Schimmer der brennenden Lämpchen sah er, wie sich jemand aus dem Raum fortbewegte. In der Haltung des Mannes lag der furchtbare Ausdruck endgültiger Abkehr. Der Rücken war nach unten gebeugt wie bei einem Buckligen, der sich nie mehr würde aufrichten können. Tristan hatte sie nie zuvor so gesehen, aber er wusste sofort, wer diese Gestalt war. Bis in die tiefsten Winkel seiner Seele reichte sein Erschrecken. Es war so stark, dass es in ihm sogar die Angst tötete.
    Er weckte Isolde.
    Sie küsste ihn, kaum dass sie erwacht war. »Musst du schon gehen?«, fragte sie ihn mit ihrer lieblichen Stimme.
    »Ja, es wird Zeit. Du musst jetzt stark und klug sein. Marke war gerade hier, er hat uns gesehen. Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte. Er wähnt uns wohl noch immer schlafend, deshalb stahl er sich wieder davon. Aber bald schon wird er zurück sein, und dann nicht allein.«
    Isolde hatte die Augen aufgerissen und die Hand vor den Mund gelegt, um nicht laut zu schreien.
    »Er wird uns überführen wollen. Doch dann werde ich schon nicht mehr da sein und auch nie hier gewesen sein. Du hast bei deinen Göttern geschlafen. Ich werde Tintajol verlassen. Marke weiß jetzt alles über uns, wessen er sich schon immer gewiss war. Es ist möglich, dass wir uns nie mehr wiedersehen.«
    »Tristan!«
    »Doch, doch, wir werden uns sehen!«, sagte Tristan, und die Tränen flossen ihm aus den Augen, während er seine Beteuerung so leichthin wie möglich auszudrücken versuchte. Er drückte Isolde an sich und flüsterte ihr mit gebrochener Stimme ins Ohr: »Tristan liebt Isolde und wird immer nur Isolde lieben.« Er riss sich von ihr los und verschwand hinter der verborgenen Tür, stolperte weinend durch den dunklen Gang, öffnete vorsichtig die Tür zum Flur und wurde schwanzwedelnd von Hiudan begrüßt. Der Hund sprang an ihm hoch, gab aber keinen Laut von sich. Tristan befahl ihm flüsternd, vorauszueilen, spähte um die Biegung des Flurs und konnte gerade noch sehen, wie Marke zusammen mit einer kleinen Gruppe von Herren, beleuchtet vom Feuer der Fackeln, in Isoldes Gemach eintrat. Aufgeregtes Stimmengewirr und der Harzgeruch der Fackeln zogen durch den Flur, niemand achtete auf den hinteren Teil, in dem sein und Marjodôs Gemach lag.
    Bis Marke die Tür zur Kammer erreichte, hieß er die Wachen in barschem Ton zurücktreten und fuhr die Barone an, sie sollten jetzt schweigen. Sie sollten sehen, was er gesehen hatte. So leise wie möglich öffnete er die Tür zur Kammer und ging hinein. Die ihm folgenden Barone drängten ihn vorwärts. Nun standen alle in dem kleinen, von Lichtern beschienen Raum und erblickten Isolde: Sie kniete vor dem Altar und hielt den Kopf im Gebet gebeugt. Als sie die Anwesenheit der Herren bemerkte, wandte sie sich um.
    »Was tust du da?« Marke fand keine anderen Worte.
    »Ich bete.« Isoldes Stimme klang gefasst und ruhig.
    »Zu wem betest du?«
    »Ich bitte einen unserer Götter um Beistand.«
    »Von wem sprichst du?«
    »Von unserem Gott Triklaw. Ein Wesen mit drei Hälsen und drei Köpfen, der Gott der Liebe, den ihr Papstchristen
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