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Tristan

Tristan

Titel: Tristan
Autoren: Martin Grzimek
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wieder zur selben Zeit.« Als hätte er Angst vor seiner eigenen fortune, wie er Courvenal später berichtete, schlich er durch den Gang zurück. Im Flur stieß er behutsam die Tür auf, bewegte sich so leise wie möglich und sah plötzlich Hiudan vor sich sitzen.
    »Was machst du hier?«, flüsterte er, schloss die Tür zum Gang schnell hinter sich und schob die Bank davor. »Du hast hier nichts zu suchen!«
    Mit den barschen Worten, die er an den Hund richtete, suchte er sich selbst zurechtzuweisen, jubelte aber innerlich über die Entdeckung der Kammer. Er kehrte in seine Kemenate zurück, in der Marjodô noch immer fest schlief, legte sich unter seine Decken und spürte, wie Hiudan zu ihm ans Fußende sprang und sich dort einrollte. Er schloss die Augen voller Gewissheit, dass er Isolde endlich wiedergefunden hatte. Zugleich stieg eine dunkle Ahnung in ihm hoch, die ihm Angst machte. Wie off waren sie schon vereint gewesen, wie oft voneinander getrennt? Sollte das immer so weitergehen?
     
    Freiräume ~296~ Nächtliche Unruhe
     
    Als er drei Nächte später wieder zu Isolde kam, war der karge Raum ausgeschmückt wie ein Garten im Mai. Neben der Bespannung der rohen Wände mit gewebtem Stoff hatte es Isolde sogar geschafft, zwei noch blühende Rosenbäumchen herbeischaffen zu lassen. »Das ist alles Brangaenes Werk«, sagte sie mit leuchtenden Augen.
    »Auch dass die geheime Tür sich so leicht öffnen lässt?« Tristan war voller Erstaunen.
    »Auch das! Aber ich habe ihr dabei geholfen! Die dummen Mägde denken, wenn ich sie aus meinem Gemach wegschicke, dass ich bete und Andacht halte. Und sie haben ja auch recht. Ich bete jeden Abend, jede Stunde, dass du endlich kommst. Niemand außer uns hat Zutritt. Die Haupttür bleibt immer verschlossen, nur Brangaene hat einen Schlüssel, jetzt komm endlich. Die Stunden sind zu süß und kostbar, um sie mit trüben Gedanken zu vergiften.«
    Den letzten Satz hatte sie auf Eruisch zu Tristan gesagt, und mehr sprachen sie in dieser Nacht auch nicht miteinander. Doch bevor sich Tristan vor dem Morgengrauen von der Seite seiner ewig Geliebten schlich, besah er noch einmal die inmitten des Steinrings ihres Altars auf dem Wasser schwimmende goldene Kugel Riwalins. Obwohl alle Lämpchen längst verlöscht waren, leuchtete sie dort wie ein eben erst angezündetes Licht. Er war versucht, sie in die Hand zu nehmen und ihr wahres Gewicht zu spüren, doch er schreckte davor zurück.
    Vorsichtig öffnete Tristan die verdeckte Tür zum Flur. Um sich nicht durch Geräusche zu verraten, trug er keine Schuhe, sondern nur wollene Strümpfe und, um sich unsichtbar zu machen, dunkle Kleider. Hiudan hatte er in der Kemenate zurückgelassen und das Gerücht verbreitet, der Hund würde jeden anfallen, der nicht ein bestimmtes Wort wüsste, das ihn beruhigte. So glaubte er, sich vor der Neugier Melôts schützen zu können. Denn der Zwerg war überall und schien nie zu schlafen.
    Tristan besuchte Isolde zweimal in der Woche, immer in bestimmten Nächten. Isolde bereitete sich darauf vor, indem sie am Tage ausgiebig schlief, um ausgeruht zu sein, wenn sie nachts mit Tristan zusammen war. Sie verabredeten ihren Beischlaf aber zu unregelmäßigen Zeiten, damit Marke nichts auffiele. Wenn die jeweilige Nacht kam, in der sie sich ihm hingeben wollte, schützte sie Marke gegenüber ein Unwohlsein vor, dessen Ursache das unbekömmliche Nachtessen sei. Marke machte sie Vorwürfe, dass er zwar auf seine Burg und auch auf sie gut aufpasse wie ein cüfaoil, seine Köche aber zubereiten lasse, was ihnen gerade in den Sinn kam. Was denn das sei: ein cüfaoil, hatte Marke beiläufig gefragt, woraufhin Isolde vom Tisch aufgesprungen war, ihren letzten Bissen zähen Fleisches in den Teller spuckte und Marke vornübergebeugt mit gebleckten Zähnen wie ein Wolfshund anknurrte. »Das ist es!«, sagte sie erzürnt und zog sich mit Brangaene in ihr Gemach zurück. Noch auf dem Weg dorthin lachten die beiden Frauen leise, und Brangaene sagte: »Das hat gewirkt. Hast du sein Gesicht gesehen? Demnächst wird es genügen, wenn du ihn ankläffst, dann bleibt er schön auf seinem Platz im Stall!« Und wieder mussten sie lachen, während sich Isolde schon mit klopfendem Herzen auf Tristan freute.
    Sie zählten die Nächte nicht, die sie beieinander lagen, glücklich zunächst, doch dann in zunehmendem Maße unzufrieden darüber, sich auf diese Weise verstecken zu müssen. Wenn Tristan sich aus seiner Kemenate davonstahl,
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