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Tristan

Tristan

Titel: Tristan
Autoren: Martin Grzimek
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wenn er von seiner Tür bis zur verborgenen Pforte ständig auf der Hut sein musste, um nicht entdeckt zu werden, verwünschte er bisweilen ihr Treiben und kam bedrückt und ohne ein Gefühl der Begierde bei Isolde an. Er klagte darüber, sie tröstete ihn. Es kam vor, dass sie dann nur still zusammensaßen, sangen oder sich aus Büchern vorlasen.
    Dies währte so lange, bis Marjodô in verschiedene Grafschaften geschickt wurde, um den Baronen und Lehnsmännern neue Zinsforderungen zu unterbreiten, denn die Befestigung Tintajols hatte mehr an Kosten verschlungen, als von Markes Kämmerer veranschlagt worden war. Anfangs hatte er Tristan als seinem Erbfolger diese Verpflichtung übertragen wollen, doch der hatte mit Zahlen nicht viel im Sinn und weigerte sich. »Befiehl mir, einen Drachen zu töten, einen Riesen zu erschlagen, einen Beowulf zu bändigen, und ich folge dir. Sag mir aber niemals, ich solle mit Zahlen kämpfen. Ich bin kein Kaufmannssohn und kein Zinsrechner, ich bin ein Ritter, der ab und zu die Würfel rollen lässt. Von Eins bis Sechs kann ich die Welt der numeri verstehen, dahinter endet sie bei mir. Schick deinen Truchsess, der bekommt ein anderes Gesicht, wenn er das Wort mille auch nur flüstern hört.«
    Marke war erheitert von dem Vortrag seines Neffen, stimmte ihm gerne zu und ahnte dabei nicht, dass sich Tristan insgeheim erleichtert fühlte, weil er nun einen Überwacher weniger hatte. Und sei es nur ein Monat, in dem er befreit wäre von der Gegenwart Marjodôs, er konnte zu einem einzigen großen Fest für Isolde und ihn werden. Es blieb nur noch übrig, den lästigen Schatten Melôts loszuwerden. Doch dies war leichtes Spiel. Da der Zwerg es liebte, während des Essens unter den Tischen herumzukriechen und seine hämischen Kommentare abzugeben, ließ Tristan bei Gelegenheit neben einem leeren Hocker einen kleinen Beutel mit Münzen fallen, den Melôt auf seinem Kriechgang gierig einsteckte. Tristan gab im Laufe des Abends vor, einem der Lehnsherren in der Runde, der ihm vor Tagen einen Gefallen getan hatte, noch einen Obulus zu schulden, und suchte vergeblich nach seinem Beutel. Erschreckt fuhr er auf und sagte vor allen: »Es war auch eine Kurantmünze darin. Hat jemand mein Ledersäckchen gesehen? Es ist aus rot gefärbtem und braunem Leder, in Streifen genäht, verknüpft mit schwarzem Elefantenhaar, wie mir der Händler in Toledo einst versicherte. Da war ich noch ein Knabe, aber dieses Säckchen …« Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Melôt gleich einem Marder den Raum verlassen wollte. »Halt!«, rief Tristan und zog seinen Dolch. Melôt verharrte kurz vor dem Ausgang. »Bleib bei uns, Zwerg, und leere deine Taschen!«
    Der strenge Ruf des Ritters hatte die Wachsoldaten in Bereitschaft versetzt. Sie eilten herbei, umstellten Melôt, und er musste unter Jammern und Winseln den Beutel aus einem Versteck unter seinem weiten Gewand hervorholen. Er hatte doch nur Liegengebliebenes verwahren wollen, beteuerte er. Niemand glaubte ihm. Tristan ordnete daraufhin an, ihn einen Monat lang bei den Grabungsarbeiten am Westflügel einzusetzen. Marke, erbost über die offensichtliche Niedertracht seines Hofnarren, stimmte Tristan zu, nicht ahnend, welchen schlechten Dienst er sich damit selbst erwies, so gutgläubig und gleichzeitig getrübt war sein Blick. Einst war er es gewesen, der versucht hatte, Tristan Fallen zu stellen und ihn zu Handlungen zu reizen, durch die er seine Neigung zu Isolde verraten sollte. Jetzt tappte Marke in eigener Person in die Falle hinein, deren Mechanismus er doch hätte kennen müssen.
    Isolde und Tristan verlebten einen Monat, in dem sie sich beinahe jeden zweiten Tag treffen konnten. Marke, seiner Aufpasser beraubt, verbrachte ebenfalls nur jeden zweiten Tag mit seiner frowe, die danach wieder an ihm herummäkelte und ihn ankläffte, wie es Courvenal in seinem Libellus-Heh, Tristans Worten folgend, festhielt.
    Alles schien seinen geregelten Fortgang zu nehmen, Tristan hielt sich weit häufiger in Isoldes eruischem Refugium auf als in seiner Kemenate. Die Tage konnten ihm nicht schnell genug vergehen, damit die Nächte umso länger wurden. Boten meldeten, Marjodô sei wegen schwieriger Verhandlungen mit Lord Wessely noch immer aufgehalten, was in Marke besonders großen Ärger hervorrief. Er fürchtete des Barons Aufwartung zwecks bevorzugter Konditionen bei der mühevollen Erzgewinnung. Immer nur ging es darum! Dabei war Wesselys einziges Anliegen, wieder
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