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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
Autoren: Daniil Charms
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ist gefährlich! Was es nicht alles gibt auf der Welt!« Als Nikolai Iwanowitsch nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: »Haben Sie keine Angst, Jekaterina Petrowna, und keine Aufregung. Bloß gibt es kein Gleichgewicht auf der Welt. Dabei liegt’s nur an anderthalb Kilogramm, gerechnet aufs ganze Universum, aber trotzdem erstaunlich, Jekaterina Petrowna, höchst erstaunlich!« Schluss.
    Daniil Dandan
     
    18. September 1934

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Über Erscheinungen und Existenzen
Nr. 1
    Der Maler Michael Angelo setzt sich auf einen Haufen Ziegelsteine, stützt den Kopf in die Hände und beginnt zu denken. Da trippelt ein Hahn vorbei und guckt den Maler Michael Angelo mit seinen goldglänzenden Knopfaugen an. Er guckt, ohne zu zwinkern. Da hebt der Maler Michael Angelo den Kopf und sieht den Hahn. Der Hahn wendet den Blick nicht ab, zwinkert nicht und bewegt auch die Schwanzfedern nicht. Der Maler Michael Angelo senkt den Blick und bemerkt, dass es ihn in den Augen beißt. Der Maler Michael Angelo reibt sich mit beiden Händen die Augen. Aber der Hahn steht schon nicht mehr da, er steht nicht da, sondern geht weg, geht weg hinter den Stall, hinter den Stall, in den Hühnerhof, in den Hühnerhof zu seinen Hühnern.
    Der Maler Michael Angelo erhebt sich von dem Ziegelhaufen, klopft sich den roten Ziegelstaub von der Hose, wirft den Gürtel weg und geht zu seiner Frau.
    Aber die Frau des Malers Michael Angelo ist sehr groß, so groß wie zwei Zimmer übereinander. Unterwegs begegnet der Maler Michael Angelo dem Komarow, nimmt ihn bei der Hand und ruft: »Sieh mal!«
    Komarow guckt und sieht eine Kugel.
    »Was ist das?«, flüstert Komarow.
    Und vom Himmel donnert es: »Das ist eine Kugel!«
    »Was denn für eine Kugel?«, flüstert Komarow.
    Wieder ein Donnern: »Eine glattoberflächige Kugel!«
    Komarow und der Maler Michael Angelo setzen sich ins Gras, und sie sitzen im Gras wie Pilze. Sie halten sich an den Händen und gucken in den Himmel. Am Himmel zeichnet sich ein riesiger Löffel ab. Was ist denn das? Niemand weiß es. Die Leute flüchten und verschanzen sich in ihren Häusern. Sie schließen Türen und Fenster ab. Aber hilft das etwa? Von wegen! Das hilft nichts.
    Ich weiß noch, wie sich 1884 ein gewöhnlicher Komet, groß wie ein Dampfer, am Himmel zeigte. Das war ganz schrecklich. Aber nun ein Löffel! Was ist schon ein Komet gegen so eine Erscheinung.
    Fenster und Türen abschließen!
    Aber kann das etwa helfen? Gegen eine himmlische Erscheinung kann man sich nicht hinter einem Brett verschanzen. Bei uns im Haus wohnt Nikolai Iwanowitsch Stupin, der hat die Theorie, alles sei Rauch. Aber meiner Meinung nach ist nicht alles Rauch. Vielleicht gibt es auch gar keinen Rauch. Vielleicht gibt es überhaupt nichts. Es gibt einzig und allein die Teilung. Aber vielleicht gibt es ja nicht mal die Teilung.
    Schwer zu sagen.
    Es heißt, ein berühmter Maler betrachtete einen Hahn. Er betrachtete ihn ausgiebig und kam zu der Überzeugung, dass der Hahn nicht existierte. Der Maler sagte das seinem Freund, aber der Freund lachte sich schief. Wie denn das, sagte er, der existiert nicht, wo er doch, sagte er, hier steht, und ich, sagte er, ihn ganz deutlich sehe.
    Da senkte der große Maler den Kopf, und wie er da stand, setzte er sich auf den Ziegelhaufen. Schluss.
     
    Daniil Dandan
     
    18. September 1934

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Über Erscheinungen und Existenzen
Nr. 2
    Hier ist eine Flasche Wodka, eine sogenannte Spirituose. Daneben sehen Sie Nikolai Iwanowitsch Serpuchow.
    Nun entsteigen der Flasche alkoholische Dämpfe. Schauen Sie nur, wie Nikolai Iwanowitsch Serpuchow durch die Nase atmet. Schauen Sie nur, wie er sich die Lippen leckt und blinzelt. Man sieht, ihm ist das sehr angenehm, und zwar vor allen Dingen, weil es sich um eine Spirituose handelt.
    Doch beachten Sie, dass hinter Nikolai Iwanowitsch nichts ist. Nicht nur, dass dort kein Schrank steht oder eine Kommode oder sonst etwas dergleichen, nein, dort ist überhaupt nichts, nicht einmal Luft ist da. Ob Sie es glauben oder nicht, aber hinter Nikolai Iwanowitsch gibt es nicht einmal einen luftleeren Raum, oder, wie man sagt, Weltäther. Freiheraus gesagt, absolut nichts.
    Das kann man sich natürlich überhaupt nicht vorstellen. Aber wir pfeifen drauf, uns interessieren nur die Spirituose und Nikolai Iwanowitsch Serpuchow.
    Nun nimmt Nikolai Iwanowitsch die Flasche mit der Spirituose in die Hand und hält sie sich unter die Nase. Nikolai Iwanowitsch Serpuchow schnüffelt und
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