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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
Autoren: Daniil Charms
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eingegossen?«, fragte er Andrej Semjonowitsch.
    »Weiß nicht«, sagte Andrej Semjonowitsch.
    Popugajew verschwand augenblicklich. Der Hund kam wieder zum Fenster hereingeflogen, legte sich auf seinen alten Platz und schlief ein.
    Andrej Semjonowitsch ging zum Tisch und trank das schwarz gewordene Wasser aus der Tasse.
    Und Andrej Semjonowitsch wurde es leicht ums Herz.
     
    21. August
    <1934>
     
    Wie alle wissen, hatte Besymenski eine sehr dämliche Visage. Und einmal knallte Besymenski mit seiner Visage gegen einen Schemel.
    Danach war die Visage des Dichters Besymenski überhaupt nicht mehr zu gebrauchen.
     
    <1934>
     
    Alexander Besymenski (1898–1973), russisch-sowjetischer Dichter, Autor von tendenziösen Werken heroischen und proletarischen Inhalts.
     
    Olga Forsch kam zu Alexej Tolstoi und machte etwas. Alexej Tolstoi machte auch etwas.
    Da kamen Konstantin Fedin und Walentin Stenitsch in den Hof gerannt und begannen einen passenden Stein zu suchen. Einen Stein fanden sie nicht, aber sie fanden einen Spaten. Mit diesem Spaten haute Konstantin Fedin der Olga Forsch eins in die Fresse.
    Da zog sich Alexej Tolstoi nackt aus, lief auf die Fontanka und wieherte los wie ein Pferd. Alle sagten: »Da wiehert ein großer zeitgenössischer Schriftsteller.« Und niemand krümmte Alexej Tolstoi ein Haar.
     
    <1934>
     
    Olga Forsch (1873–1961), russisch-sowjetische Autorin, Verfasserin von historischen Romanen über das Leben berühmter Persönlichkeiten. Alexej Tolstoi (1883–1945), russisch-sowjetischer Autor, Verfasser von historischen und Science-Fiction-Romanen sowie Kinderliteratur. Konstantin Fedin (1892–1977), russisch-sowjetischer Autor und Kulturfunktionär, in den 1920er Jahren Mitglied der Schriftstellergruppe »Serapionsbrüder«, Verfasser von historischen und politischen Romanen. Walentin Stenitsch (1897–1938), russischer Dichter, Literaturübersetzer (übertrug u. a. Werke von Rudyard Kipling, James Joyce und Bertolt Brecht) und Dandy. Er besuchte, wie Charms, die Leningrader Peterschule. Im November 1937 wurde er im Zuge des Stalin-Terrors verhaftet und im September 1938 erschossen.

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Über das Gleichgewicht
    Heute weiß jeder, wie gefährlich es ist, Steine zu schlucken. Ein Bekannter von mir hat sich sogar folgende Formel ausgedacht: »Stei-sch-i-ge«, was bedeutet: »Steine schlucken ist gefährlich«. Klingt prima. »Steischige« kann man sich leicht merken und wenn man es braucht, fällt es einem sofort ein. Dieser Bekannte arbeitete als Heizer auf einer Lok. Mal fuhr er die Nordroute, mal die Strecke nach Moskau. Sein Name war Nikolai Iwanowitsch Serpuchow, er rauchte Papirossy Marke »Raketa«, 35 Kopeken die Schachtel, und sagte immer, davon müsse er weniger husten, und von denen für fünf Rubel, sagte er, bekomme er immer Atembeschwerden.
    Eines Tages saß Nikolai Iwanowitsch im Restaurant des Hotels »Europa«. Nikolai Iwanowitsch sitzt also an einem Tisch, und am Nachbartisch sitzen Ausländer und fressen Äpfel.
    Da sagt Nikolai Iwanowitsch zu sich: »Interessant«, sagt sich Nikolai Iwanowitsch, »wie der Mensch so konstruiert ist.«
    Kaum hat er das zu sich gesagt, erscheint wie aus heiterem Himmel vor ihm eine Fee und sagt:
    »Was kann ich für dich tun, guter Mann?«
    Natürlich gerät im Restaurant alles in Bewegung, man fragt sich, woher dieses unbekannte Fräulein kommt. Die Ausländer hören sogar damit auf, Äpfel zu fressen.
    Nikolai Iwanowitsch seinerseits ist ebenfalls das Herz in die Hose gerutscht, und er sagt einfach so, bloß um die Unbekannte abzuwimmeln:
    »Tschuldigung«, sagte er, »ich brauch jetzt gerade nicht groß was.«
    »Moment mal«, sagte das unbekannte Fräulein, »ich bin sozusagen eine Fee. Ich kann im Nu alles Mögliche herbeizaubern.« Da sieht Nikolai Iwanowitsch, dass ein Bürger im grauen Anzug aufmerksam ihrem Gespräch lauscht. Durch die offene Tür kommt der Chefkellner hereingerannt, und ihm auf den Fersen irgendein Subjekt mit Papirossa im Mund.
    »Was, zum Kuckuck, ist hier los!«, denkt Nikolai Iwanowitsch, »was soll das bloß werden!«
    Tatsächlich weiß niemand, was das werden soll. Der Chefkellner springt über Tische und Bänke, die Ausländer rollen die Teppiche zusammen und überhaupt, ein einziges Tohuwabohu! Alles geht drunter und drüber!
    Nikolai Iwanowitsch rannte auf die Straße, nahm nicht mal seine Mütze aus der Garderobe mit, er rannte auf die Lassalle-Straße und sagte zu sich: »Steischige! Steine schlucken
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