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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft
Autoren: Maxi Buhl
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hatten sie so lebendig gefunkelt, nun war alles Leuchten aus ihrem Gesicht verschwunden. War sie gerade dabei, seekrank zu werden? Aber dann würde sie zu essen aufhören.
    »Geht’s dir gut?« Ich hob ihr Kinn an, um ihr in die Augen zu schauen. Sie nickte nur und löffelte weiter.
    »Aber du hast doch was.« Ihr Stimmungsumschwung verunsicherte mich. »Verrat mir doch, was los ist. Bitte.« Ich streichelte ihre freie Hand.
    Sie blickte müde von ihrem Eis hoch. »Ich hasse Sonntage«, gestand sie. »Ich überstehe sie nur fressend.«
    Jetzt war ich genauso klug wie vorher. Ich kam mir so unbeholfen vor. Warum hasste jemand Sonntage? Ich fragte nach, so feinfühlig wie nur möglich: »Bist du mal Ministrantin gewesen und missbraucht worden?«
    »Gott bewahre! Ich und Ministrantin!« Sie schüttelte sich.
    »Bist du in einer bigotten Familie aufgewachsen?«, bohrte ich weiter.
    »Nein, nein. Das blieb mir erspart«, winkte sie ab. Schweigend löffelte sie ihr Eis zu Ende, das Thema schien für sie erledigt.
    Ich überlegte, was am Sonntag so schlimm sein konnte. Fußball kam nicht infrage, nicht für Mädchen, die Glücklichen! Bierzelt, Golfclub, Opernabonnement, Museumsbesuche? Es gibt so viel, was Kindern angetan wird.
    Da nahm Rosi einen Schluck Champagner, tätschelte meine Hände mit ihren weichen Fingern und sagte: »Das lässt dir jetzt keine Ruhe, gell? Also gut, ich werde es dir verraten. Aber entspann dich. Der Sturm geht wieder vorbei. Wenn du dich so verkrampft am Tisch festkrallst, siehst du aus wie ein rheumatischer Reiher.«
    Ich bemühte mich tapfer, die Berg- und Talfahrt des Schiffes zu ignorieren. Am besten, ich fokussierte meine Aufmerksamkeit auf Rosi. Auch wenn ihre ganze Fröhlichkeit der letzten Tage wie weggeblasen war, der Sturm schien ihr nichts auszumachen. Wie ein Fels in der Brandung thronte sie auf ihrem Sessel. Sie leerte ihr Glas, holte tief Luft und begann zu erzählen.

    Manchmal habe ich Melanie beneidet. Melanies Eltern waren geschieden. Ihr Vater wohnte ein paar Straßen weiter im selben Stadtteil, mit dem Rad war sie in fünf Minuten bei ihm. Wenn Melanies Mutter Linseneintopf oder Leber kochte, schaffte sie die Strecke in vier Minuten, auch bei Gegenwind. Bei ihrem Vater gab es wahlweise Pommes oder Pizza und Cola, nicht Früchtetee wie bei Mutter. Einfach korrekt. Wenn Melanies Mutter an warmen Frühlingstagen vom Gartenfieber gepackt wurde, sollte Melanie ihr immer beim Unkrautjäten zur Hand gehen. Melanie selbst wurde jedoch nie vom Gartenfieber gepackt, sondern zu solchen Anlässen von einer unbändigen Sehnsucht nach der krautfreien Wohnung ihres Vaters. »Ich hab bei Papa meine Zahnspange liegen lassen«, rief sie ihrer Mutter vom Fahrrad aus zu und zischte ab. Bis sie ihre Zahnspange gefunden hatte, war das Unkraut gejätet. Wenn meine Mutter vom Gartenfieber gepackt wurde, half mir höchstens ein Virus mit 40 Grad Fieber aus der Klemme. Aber wer wollte schon an Frühlingstagen das Bett hüten, nur weil Mütter manche Kräuter verabscheuen?
    Melanie war ein Glückspilz. Sie hatte zwei Zimmer, eins daheim und ein weiteres bei ihrem Vater. Wenn ihr erstes Zimmer im Chaos versank, verschwand sie einfach ins zweite. Wenn mein Zimmer im Chaos versank, wurde ich von der Nörgelei meiner Mutter erschlagen. Manchmal habe ich mir gewünscht, meine Eltern würden sich auch scheiden lassen. Vor allem, wenn sie sich stritten und tagelang kein Wort miteinander wechselten.
    »Das kenne ich«, unterbrach ich Rosi. »Meine Eltern waren auch oft stumm wie die Fische. Unerträglich.«
    »Deine auch? Und, wie hast du darauf reagiert?«, wollte sie wissen.
    »Gar nicht, glaube ich. Ich war daran gewöhnt.«
    »Ich jedenfalls vergrub mich dann in den Wohnungsteil der Süddeutschen Zeitung «, fuhr sie zu erzählen fort.
    Einmal wurde ein Apartment in unserer Straße angeboten. Eineinhalb Zimmer wäre etwas knapp, überlegte ich, denn ich hatte ja noch einen Bruder. Zu Papa in die Zweitwohnung auszuweichen brächte nichts, wenn der Bruder mitkäme. Wer einen Bruder hat, weiß, warum. Florian wollte Fußball glotzen. Ich hingegen brauchte meine tägliche Soap. Am besten wäre, Florian bliebe bei Mama, und ich zöge allein zu Papa. Mit ihm hatte ich am wenigsten Ärger.
    Das Apartment stand dreimal in der Zeitung und dann nie wieder. Schade, wäre praktisch gewesen. Aber wahrscheinlich hätten meine Eltern einer solchen Lösung sowieso nie zugestimmt. Ich kenne sie doch! Sie legten Wert auf
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