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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft
Autoren: Maxi Buhl
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und Zutodebetrübt nah beinander, das ist normal. Zum Freitod braucht es einen großen Schritt, eine bewusste Entscheidung. Dazu ist man nur als autonomes Subjekt seines Schicksals fähig. In der Kindheit ist man Objekt, abhängig von den Erwachsenen. Gerade bei Opfern von Lieblosigkeit, Gewalt und Missbrauch zeigt sich ihr starker Überlebenswille. Auch Sie haben Ihre Kindheit ja überlebt.«
    »Vielleicht nur, weil ich nie mit meinen Eltern auf so einem schwimmenden Hochhaus Urlaub machte«, erwiderte ich. »Wir wohnten Parterre, da kommt man auf keine dummen Gedanken. Keine Ahnung, ob mich der Sog der Tiefe nicht überwältigt hätte, wie er sich hier auf Deck 13 bietet, wenn ich die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Man braucht ja bloß, von einer existentiellen Müdigkeit ergriffen, loszulassen, die Reling loslassen. Mehr nicht.«
    »Aber den Kindern geht es doch bestens hier«, schaltete sich nun Rosi ein, eine üppige Brünette, die sich bei unseren Abendessen selten am Gespräch beteiligte, weil sie sich ganz dem Genuss der köstlichen Gerichte hingab. »Warum sollte ein Kind dieses Paradies loslassen?«
    »Ist es wirklich ein Paradies für Kinder?«, fragte ich sie. »Ich habe mal in die Horte hineingespitzt. Da ist kein Raum für Selbsterfahrung und Rückzug aus dem Kollektiv. Wie bei den Erwachsenen an Bord, aber die haben immerhin Alkohol. Meine Eltern fuhren zum Glück, weil sie sich nichts Extravagantes leisten konnten, in den Ferien mit mir auf einen Bauernhof. Dort gab es unendlich viel zu erforschen und zu tun. Tiere auf die Weide und abends heimtreiben, füttern, ausmisten, Traktor fahren und so weiter. Wir Kinder durften keinen Unsinn machen, wir mussten echte Verantwortung übernehmen. Aber genau das war meine Therapie gegen den Weltschmerz.«
    »Weltschmerz!« Monika verdrehte die Augen und verkündete, sie jedenfalls hätte als Kind nichts gegen das Freizeitprogramm im Teenieclub.
    Allgemeines Nicken, man war sich einig. Hier an Bord durfte, konnte, musste man glücklich sein. Kein Grund, sich umzubringen. Schon gar nicht als Dreizehnjähriger. Vielleicht war es doch nur ein Unfall?
    Wir brachten das Dinner hinter uns, wenn auch beklommen. Solange das Schiff nicht ablegte, schwebte das Gespenst des Unheils zwischen den Glücksuchern. Erst auf freier See würde man wieder aufatmen und die düsteren Gedanken hinter sich lassen können. Das Management hatte offenbar Erfahrung mit unguten Zwischenfällen und auch das wirksame Gegenmittel dafür. Es gab über Lautsprecher bekannt, bis zur Abfahrt des Schiffes seien alle Getränke frei, die Bars eröffnet. Ein Ruck ging durch die Menge, eine Erleichterung wie nach einer Bombenentwarnung. Den Barkeepern rann bald der Schweiß von der Stirn. Als die MS Fortuna gegen Mitternacht endlich aus dem Hafen glitt, hatte man den Zwischenfall so gut wie vergessen. Auf zu neuen Horizonten! Nirgendwo lässt sich diese Lebensweisheit leichter praktizieren als auf einem Schiff.

VERDAMMTE SONNTAGE

    W ollen wir unser Gespräch bei einem Daiquiri an der Bar fortsetzen?«, fragte mich Rosi ganz unerwartet nach dem Dessert. Diese Tischgenossin war nun gar nicht mein Typ. Zu viel Masse. Bei einem halben Zentner Übergewicht spielt meine Fantasie nicht mit. Mir vorzustellen, wie ich Suppenspargel von ihren Fettpolstern plattgewalzt, womöglich gar völlig zwischen ihren Speckfalten verschwinden würde, so als schlügen die Wogen des Bermudadreiecks für alle Zeit über mir zusammen, diese Vision verlangte nach einem fettlösenden Wodka.
    Sage keiner, das Aussehen des Gegenübers spiele keine Rolle, wenn man nichts als ein wenig Smalltalk bei einem Verdauungsdrink an der Bar beabsichtigt! Denn erstens beabsichtigte ich nach vier erfolglosen Abenden an Bord dringender denn je, die Eroberung zu landen, die mir den Urlaub wenigstens zum Ende hin noch versüßen sollte. Und zweitens behaupte ich: Das Auge trinkt mit. Selbst wenn es sich nur um einen lauwarmen Coffee to go am Bahnhofskiosk handelt, mundet er besser von einer federnden Gazelle serviert als von einer verschwitzten Vettel. Ich hätte diese Rosi gern abgewimmelt. Erst recht an diesem Abend, wo man sich auf Kosten des Schiffes ungehemmt betrinken konnte. Ich versprach mir dadurch eine klitzekleine Chance auch bei jenen Appetithappen des weiblichen Geschlechts, die mich im nüchternen Zustand schnöde übersahen, weil ihr interessierter Blick an den Kerlen mit Golferteint und Triathletenmuckis hängenblieb.
    Aber nun.
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