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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft
Autoren: Maxi Buhl
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Programm. Etwas, das uns über die nächsten acht Stunden hinwegretten würde.
    München, unsere Heimatstadt, steckt voller Sehenswürdigkeiten. Sie wurden extra für die Touristen geschaffen, damit sie nicht merken, welches Wetter herrscht. Einheimische brauchen diesen Zinnober nicht. Einheimische bleiben bei Nieselregen daheim und machen es sich gemütlich. Im November fährt allerdings auch kein Tourist nach München. Im November sind nur Scheidungskinder mit ihren Wochenendvätern unterwegs. Man erkennt sie am hoffnungslosen Blick: Und wohin jetzt? Theater, Museen, Ausstellungen … München geizt nicht mit Attraktionen. Was machen Scheidungsopfer wohl in Deggendorf?, frage ich mich heute. Flüchten sie in die Kirche oder gleich zum Kirchenwirt?
    Ich darf nicht lästern. Auch wir wärmten uns schon mal in Kirchen auf, wenn das Kino erst in einer Stunde öffnete. Uns war alles egal, Hauptsache, wir brachten es hinter uns. Am meisten litt Papa. Was auch immer er uns bot, es war Zeitvertreib, es war kein gemeinsamer Lebensraum. Er muss ganz verzweifelt auf der Suche nach fesselnden Programmen für uns gewesen sein.
    »Wofür besuche ich euch überhaupt?«, warf er uns vor. Wir zuckten die Schultern. Es wäre alles so einfach gewesen, wenn er ein paar Straßen weiter eine Wohnung gehabt hätte. Meinetwegen auch nur ein Wohnklo. Aber sein Wohnklo war in Brünn, mit dem Zug eine halbe Weltreise von uns.
    Irgendwie überlebten wir den Winter. Vielleicht nur, weil Vaters Besuche ab Fasching spärlicher wurden. Der Fasching mit den ganzen Besoffenen in den Kneipen hat ihm den Rest gegeben. Er wurde krank, dann wurde ich krank, dann Florian. Eine kleine Verschnaufpause, die wir alle drei stillschweigend genossen. Nur Mutter nicht. Sie vermisste ihren freien Sonntag mit dem doofen Gentleman.
    »Du kannst dich nicht einfach so davonschleichen, es sind auch deine Kinder«, schimpfte sie kooperativ durchs Telefon nach Brünn hinüber, und Ostern stand Vater wieder auf der Matte. Große Freude beim Wiedersehen, denn natürlich vermissten wir ihn jeden Tag. Nur die Sonntage mit ihm, auf die hätten wir gerne verzichtet. Uns schauderte bei dem Gedanken an die Zukunft. Die Welt schrumpfte auf Sonntage zusammen und die Sonntage auf Programmzwang. Es musste sich etwas ändern. Nur wie?
    Und dann änderte sich alles von selbst. In München herrscht neun Monate Winter und drei Monate Sommer. Um München herum gibt es Seen ohne Zahl. Ein Vierteljahr lang waren jeden Sonntag drei Badetücher, ausgebreitet an irgendeinem Seeufer, unser Zuhause. Die Bücher darauf unser eigenes Zimmer. Die Thermoskanne mit Eistee unsere Küche. Die Skatkarten unser Wohnzimmertisch. Der See unser Garten. Wir lebten wieder als Familie, nicht mehr als Touristen. So einfach ist das. Hat jemals jemand ein Buch über die Auswirkungen des Wetters auf Scheidungsfamilien geschrieben?
    »Gute Idee«, unterbrach ich Rosi begeistert. »Das Thema fehlt nämlich noch in meiner Trinkerreihe. So was wie Wenn der Himmel weint – die schönsten Kneipentouren für Scheidungsnomaden.« Der Vorschlag entlockte Rosi ein flüchtiges Lächeln, doch gleich fuhr sie in ihrer Erzählung fort:
    Wie gesagt, der Münchner Sommer ist kurz wie die Hopfenblüte. Ein paar Augenblicke des Glücks im Sonnenlicht, und schon rollt man zum letzten Mal sein Badehandtuch ein und ahnt: Wer jetzt kein Heim hat, findet keines mehr. Der Alptraum konnte von Neuem beginnen.
    Man sagt, es gäbe für jedes Problem eine Lösung. Die Lösung wäre gewesen, wenn Vater und Mutter sich wieder verstanden hätten. Man sagt, beten helfe. Ich legte ein Gelübde ab. Lieber Gott, wenn du meine Eltern wieder zusammenbringst, werde ich Unkraut jäten, bis mir die Hand abfällt. Beten half nicht. Okay, ich konnte Gott verstehen. Er hat nichts gegen Unkraut. Man sagt auch, der Wille versetze Berge. Ich wollte den Gentleman loswerden. Dann wäre Mutter frei für die Wiedervereinigung. Einen ganzen Tag lang konzentrierte ich meine Gedanken auf seinen Schal, den er in unserer Garderobe vergessen hatte. Meine Augen durchbohrten den Schal wie Bleikugeln ein Herz. Die Afrikaner haben großen Erfolg mit dieser Tötungsmethode. Sie nennen es Voodoozauber. Der Gentleman erlitt einen Autounfall. So viel zu meinen Zauberkünsten. Aber nach einer Woche Krankenhaus wurde er mit einem Gipsarm und einer Beinschiene wieder entlassen, und Mutter quartierte ihn bei uns ein, um ihn gesund zu pflegen.
    »Klarer Fall von Künstlerpech«,
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