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Treffpunkt Irgendwo

Titel: Treffpunkt Irgendwo
Autoren: Thomas Fuchs
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breitbeinigen und lässigen Schlendergang die Straße hinunter.
    Ich sah ihr einen Moment nach, womit sie offensichtlich rechnete, denn nach etwa zwanzig Metern hob sie, ohne sich umzudrehen, die linke Hand und machte das Victoryzeichen.
    »Arschkuh«, murmelte ich.
    Ich mochte den Alexanderplatz noch nie. Diese gigantische Freifläche aus Granitplatten, eingerahmt von diesen breiten DDR-Straßen, dazu diese großen hässlichen Hochhäuser. Der Alexanderplatz war für mich schrecklichstes Ost-Berlin. Selbst Galeria, das Saturnkaufhaus und C & A änderten nichts daran. Und jetzt, an einem grauen kalten Januartag, war es hier noch einmal ungemütlicher. Doch trotz der Kälte hasteten Unmengen von Menschen über den Platz zu den Straßenbahnhaltestellen, es war ein Gewusel und Gedränge, ich fühlte mich total überfordert. Wo sollte ich hier Len finden. Vielmehr, wer in aller Welt hielt sich hier freiwillig auf? In der Nähe der eigenartigen Weltzeituhr standen ein paar Glatzen zusammen. In einer Seitenstraße Richtung Fernsehturm hatte sich eine Gruppe von verschüchterten Emos eingefunden und auf den Bänken vor dem Brunnen in dem kleinen Park hatten sich Penner breitgemacht. Zuletzt war ich hier mit meiner Mutter irgendwann im letzten Herbst gewesen. Da hatte sie mit mir unbedingt ins Alexa gewollt. Ein gigantisch großes, von außen unfassbar hässliches rosa Einkaufszentrum direkt neben der S-Bahn. Die vielen eigenartigen Menschen waren mir damals gar nicht aufgefallen. Aber da waren wir auch direkt von der S-Bahn-Station runter und im Strom der Massen eiligst rüber ins Alexa. Doch jetzt war das anders. Nun suchte ich hier jemanden, sah den Leuten ins Gesicht, hielt Ausschau nach Punks, scannte die Umgebung nach Ecken, in denen man sich aufhalten konnte, wenn man gar nicht irgendwohin wollte. Es dauerte ewig, bis ich Len endlich gefunden hatte. Er stand in der kleinen Gasse zwischen Galeria Kaufhof und S-Bahn-Bögen zusammen mit einer Gruppe von echt übel aussehenden Typen. Ich blieb erst einmal stehen und beobachtete ihn. Neben Len stand ein Kerl mit Springerstiefeln, gebleichter, zerrissener Jeans und einem dunkelgrünen Militärmantel. Um den Hals ein Palästinensertuch, auf dem Kopf eine schwarze Kappe. Der Mann ihm gegenüber war echt alt. Ich schätzte ihn auf über vierzig. Er war komplett in schwarzes Leder gekleidet, hatte eine Glatze und trug trotz des grauen Himmels eine kleine verspiegelte Sonnenbrille. Auch die anderen sahen nicht viel freundlicher aus. Verdreckt, heruntergekommen, einfach abstoßend. Mehrere Hunde tollten zwischen ihnen herum, auf dem Boden standen Wein- und Bierflaschen, Len selbst lehnte mit einer Bierflasche in der Hand an einer der Säulen. Ähnlich wie vorhin vor dem besetzten Haus, kam mir auch nun wieder meine Idee total bescheuert vor. Und ich überlegte, ob ich nicht einfach wieder gehen sollte. Doch dann sagte ich mir: Nein, Jana. So eine bist du nicht. Du hast dir das vorgenommen, nun ziehst du das auch durch. Ich bin keine, die sich freudig in die erste Reihe vordrängt, aber wenn ich mich zu etwas entschließe, was mitunter länger dauern kann, dann stehe ich normalerweise auch dazu, komme, was wolle. Ich setzte mich wieder in Bewegung.
    »Len!«, rief ich aus sicherer Entfernung. Und da niemand in der Gruppe reagierte, erneut, diesmal etwas lauter: »Len, hallo!«
    Er drehte sich zu mir um, ich konnte trotz des Abstands zwischen uns richtig sehen, wie es in seinem Hirn arbeitete, die Stirn runzelte sich, dann ging ein Ruck durch seinen Körper, er löste sich von dem Betonträger und kam langsam zu mir rübergeschlendert.
    Etwa anderthalb Meter vor mir blieb er stehen, sah mich misstrauisch an.
    »Was willst du?«
    »Ich muss mit dir reden.«
    »Ach?«
    »Ja, bitte. Hast du einen Moment Zeit?«
    »Okay.«
    »Also, ich…« Sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung verunsicherten mich total. Ich kam mir so bescheuert vor, so klein und blöd, einfach nur ätzend. Sein Blick war kalt, voller Ablehnung und irgendwie herablassend. Keine Spur von dem netten Lächeln, mit dem er mir mein Handy zugeworfen hatte, der Typ hier war jemand komplett anderes, als der, den ich in Erinnerung hatte. Nicht der, von dem ich geglaubt hatte, dass ich mit ihm reden könnte. Der mir vielleicht helfen könnte.
    »Du, also, an dem Abend neulich…«, stammelte ich weiter. Hoffte, dass er es mir irgendwie leichter machen würde, indem das, was er sagte, mir irgendwie helfen würde, ein
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