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Treffpunkt Irgendwo

Titel: Treffpunkt Irgendwo
Autoren: Thomas Fuchs
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und Sonnenbrille.
    »Warum? Weil du dann eine Frau schlägst?« Ich wusste, ich bewegte mich inzwischen auf verdammt dünnem Eis. Doch ich wollte von Len eine Reaktion, hoffte, dass ich mich nicht in ihm getäuscht hatte. Wo war der Junge mit dem Lächeln geblieben, der so entwaffnend »Ach, was soll’s« gesagt hatte.
    »Damit habe ich weniger Probleme, als du glaubst!« Der massige Typ mit der Sonnenbrille machte einen Schritt auf mich zu.
    Und endlich. Endlich kam von Len eine Reaktion. »Lass stecken, Rolli. Das kläre ich.«
    Er löste sich aus der Gruppe und ging, ohne mich anzusehen, in Richtung Eingang S-Bahn. Natürlich folgte ich ihm. Er betrat die S-Bahn-Halle und stoppte vor dem Schaufenster eines Zeitungsladens.
    »Was soll das?«
    »Was das soll?« Ich war so in Fahrt, dass ich nicht aufhören konnte, obwohl ich wusste, dass ich es spätestens jetzt lassen sollte. Ich hatte ihn doch nun da, wo ich ihn haben wollte. »Verstehst du mich nicht? Ich erwarte von dir, dass du mir hilfst.«
    »Warum sollte ich?«
    »Warum?« Noch immer gärte es in mir, weil er und seine Kumpels mich so hatten auflaufen lassen. Dementsprechend untypisch derb fiel meine Antwort aus. »Arschloch! Weil ich wegen dir in dieser Sache mit drinstecke, fuck!!«
    »Wie heißt du?«, fragt er.
    »Jana«, antwortete ich.
    »Also, Jana.« Er sah müde aus, alt und grau. In seinen Augen war für einen Moment eine eigenartige Offenheit, die mich für den Bruchteil einer Sekunde ganz tief in ihn hineinsehen ließ. Ich musste schlucken, die tiefe Leere und Dunkelheit, in die ich eintauchte, ließen mich erschaudern. »Ich kann nicht. Selbst wenn ich wollte, ich kann nicht«, erklärte er mit einer Stimme, die mir mit ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit jegliche Hoffnung raubte. »Selbst wenn ich dir helfen wollte, es geht nicht. Ich habe selbst genug Scheiße an der Hacke. Ich kann nicht zu den Bullen gehen. Und die würden mir auch nie glauben. Ich kann dir nicht helfen. Verstanden?«
    Ich nickte, wollte etwas sagen, konnte es aber nicht.
    »Und jetzt fahr bitte zurück in deine schöne Welt und lass mich in Ruhe. Okay?«
    Ich nickte erneut, sah an ihm vorbei mein Spiegelbild in der Glasscheibe des Zeitungsladens. Ein kleines Mädchen starrte mich von dort an.
    »Dir wird schon nichts passieren. Und jetzt geh!«
    Ich drehte mich um und tat, was er sagte. Ich bin die Treppe hinauf Richtung S-Bahn. Als ich mich oben umdrehte und über das Geländer in die Eingangshalle hinabsah, stand er immer noch da. Starrte mir nach, die Bierflasche in der Hand, regungslos, irgendwie traurig und verlassen.
    Wir sahen einander sicher eine Minute lang an. Die Entfernung war zu groß, um einander wirklich in die Augen zu sehen, dennoch konnte ich ziemlich genau erahnen, mit welcher Mimik er zu mir hochblickte. Und dann schloss er die Augen, zumindest meinte ich, das sehen zu können, drehte sich um und verschwand.
    Noch am gleichen Abend habe ich meinen Eltern alles gebeichtet. Ihnen von dem Abend erzählt, mit allen Details berichtet, was passiert war, und ihnen den Brief gezeigt. Meine Mutter regte sich wahnsinnig auf, war noch nachträglich besorgt, machte mir Vorwürfe, dass ich mich doch wegen eines dämlichen Handys nicht in eine solche Gefahr hätte bringen dürfen. Wie von mir erwartet, drohte sie mir, dass sie mir nicht mehr erlauben würden, abends ohne Begleitung eines Erwachsenen in die Stadt zu fahren, wenn ich ihnen nicht auf der Stelle versprechen würde, mich nie wieder so leichtsinnig zu verhalten. Mein Vater dagegen kritisierte nur, dass ich ihnen nicht am nächsten Tag oder besser noch gleich am Abend von der Geschichte berichtet hatte. Dass ich dem Typ hinterher bin und auch dass ich am Nachmittag versucht hatte, mit dem Kerl erneut zu sprechen, fand er sogar gut.
    »Aber, Jana«, schob er nach. »Bitte, nimm beim nächsten derartigen Ausflug eine Freundin mit. Es gibt Dinge, die geht man besser nicht allein an.«
    »Jürgen, wirklich!«, mischte sich meine Mutter ein. »Das kannst du doch so nicht stehen lassen. Die Sache mit der Polizei, was da hätte passieren können…«
    »Gar nichts hätte passieren können. Notfalls hätten wir sie auf der Wache abholen müssen. Und im Grunde mag das doch sogar eine ganz prägende Erfahrung für Jana gewesen sein.« Mein Vater holte tief Luft. »Sie ist alt genug, um zu begreifen, dass auch in diesem Land nicht alles rund läuft. Was die Berliner Polizei da treibt, ist nicht gut. Eine regelrechte Hatz
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