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Treffpunkt Irgendwo

Titel: Treffpunkt Irgendwo
Autoren: Thomas Fuchs
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und fertig. Wer nichts getan hat, braucht auch nichts zu befürchten.
    Doch wenn ich nun an all die Filme dachte, die ich bislang im Fernsehen oder im Kino gesehen hatte, so musste ich zugeben: Die Welt war eher so, wie der Anwalt es einem auf seiner Page ausmalte. Unschuldig sein und seine Unschuld zu beweisen, waren nicht unbedingt dasselbe.
    Und noch etwas sprach für die Sichtweise des Anwaltes. Wenn ich seinen Ratschlägen folgte, dann bliebe alles wie bisher und ich konnte erst einmal abwarten. Was wiederum bedeutete, ich musste meinen Eltern nichts sagen. Ich musste niemandem etwas sagen und vielleicht kam bei den Ermittlungen der Polizei oder des Staatsanwaltes ja von allein heraus, dass ich unschuldig war.
    Ganz sicherlich würde das so laufen.
    Egal wen die fragen würden, jeder könnte denen sagen, dass ich keine radikale Hausbesetzersympathisantin war, die vermummt und plündernd durch Berlin-Mitte zog. Ich war Jana, ich war nicht wie die. Das konnte man an diesem Abend ja schon an meiner Kleidung sehen. Und falls die dennoch absurderweise Anzeige gegen mich erstatten würden, dann würde ich mir einen Anwalt nehmen und der würde das für mich regeln. So oder so, ich war unschuldig, ich hatte nichts zu befürchten.
    Nachdem ich mich auf diese Weise selbst überzeugt hatte, räumte ich meinen Teller in die Spülmaschine und ging hoch in mein Zimmer.
    Während ich kurz meine Stücke am Klavier übte, kam mir dann plötzlich dieser Gedanke. Erst sagte ich Schwachsinn, doch der Gedanke blieb. Normalerweise vergesse ich beim Klavierspielen alles, da gibt es nur die Tasten und mich und jede Menge Musik. Doch während ich meine Etüden hoch und runter spielte, hatte ich auch ständig dieses Lächeln vor mir und eine Stimme, die sagte: »Ach, was soll’s.« Und damit war die Entscheidung gefallen.
    Da ich nicht der Typ Mensch bin, der Sachen auf die lange Bank schiebt, stand ich bereits wenig später am S-Bahnhof Marienfelde und wartete auf die S2, die mich nach Mitte bringen sollte. Ich nutzte die Wartezeit, um mich auf dem großen Stadtplan von Berlin, der in dem Kasten auf dem Bahnsteig zwischen den Gleisen hing, darüber zu informieren, wo ich eigentlich genau hinmusste. So richtig genau kannte ich mich im Zentrum von Berlin einfach nicht aus. Zudem hatte ich meine Probleme, den Linienplan mit dem tatsächlichen Stadtplan von Berlin zusammenzubekommen. Was auf dem S-Bahn-Plan teilweise eng beieinanderlag, war in Wahrheit oft tierisch weit voneinander entfernt. Und ganz allein war ich noch nie nach Mitte gefahren. Entsprechend aufgeregt stieg ich an der Station Oranienburger Straße aus und ging die Stufen hinauf.
    Anders als vor zwei Wochen lag nun kein Schnee mehr auf den Gehwegen, stattdessen Abfälle und Hundekacke. Es dauerte etwas, bis ich das besetzte Haus wiedergefunden hatte. Und als ich endlich davorstand, da verließ mich der Mut. Wäre nicht in diesem Moment jemand aus der schmalen Öffnung im Fenster links vom Eingang geklettert, wäre ich garantiert gegangen. Doch so stand nun dieses Mädchen vor mir, das sich am Abend vor zwei Wochen über mich lustig gemacht hatte.
    Auch sie erkannte mich sofort wieder, denn sie sagte im breitesten Berlinerisch: »Na, wat willste? Wat verjessen?«
    »Kann man so sagen.«
    »Haste ’ne Kippe?« Sie sah mich abschätzend an. In meiner beigen Cargohose und der dunkelgrünen gefütterten Outdoorjacke kam ich mir plötzlich total spießig vor. Das Mädchen vor mir dagegen war echt schräg. Vermutlich mein Alter, vielleicht aber auch jünger. Die halblangen Haare waren rotblond gefärbt und verfilzt. Nicht direkt Dreadlocks, einfach nur Filz. Im Mundwinkel und der Nase hatte sie eine Kreole. Sie trug eine Bundeswehrhose, Springerstiefel und mehrere dreckige schwarze Jacken übereinander. Um den Hals ein schwarz gefärbtes PLO-Tuch.
    »Ich rauche nicht«, antwortete ich.
    »’nen Euro?« Sie feixte und zeigte mir ihre braun gefleckten Zähne. »Ick hab mein U-Bahn-Ticket verloren…«
    »Ich, also…« Ich wühlte in meiner Hosentasche nach Geld. »Der Punk von neulich, der mit meinem Handy, ich muss den was fragen!«
    »Len?«
    »Ja.«
    »Weiß nicht. Wat willste denn von ihm?«
    »Meine Sache.« Ich gab ihr einen Euro.
    »Der is nich da.«
    »Wo kann ich ihn denn finden?«
    »Die U-Bahn hat die Preise erhöht, echt fies, wa?«
    Ich gab ihr noch einen Euro.
    »Len is am Alex.« Sie grinste. »Danke, wa!« Dann drehte sie sich um und ging in einem betont
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