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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition)
Autoren: Khaled Hosseini
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könnten Nachbarn sein.«
    »Vielleicht.«
    »Du wirst ganz in der Nähe wohnen.«
    »Und wenn du irgendwann genug von mir hast?«
    Sie stieß ihm den Ellbogen in die Seite. »Das wird nicht passieren, niemals!«
    Abdullah grinste in sich hinein. »Gut. Alles klar.«
    »Du wirst in meiner Nähe wohnen.«
    »Ja.«
    »Bis wir alt sind.«
    »Uralt.«
    »Für immer.«
    »Ja, für immer.«
    Sie drehte sich auf dem Karren zu ihm um. »Versprichst du mir das, Abollah?«
    »Für immer und ewig.«
    Später nahm ihr Vater Pari auf den Rücken, und Abdullah zog den leeren Karren. Unterwegs verfiel er in eine dumpfe Trance. Er spürte nur noch, wie sich seine Knie hoben und senkten, fühlte die Schweißperlen, die unter seiner Kappe hervortropften. Sah die kleinen Füße von Pari, die gegen die Hüften seines Vaters stießen. Und schließlich nur noch die Schatten seines Vaters und seiner Schwester, die auf dem grauen Grund der Wüste immer länger wurden und sich von ihm entfernten, wenn es bergab ging.
    * * *
    Onkel Nabi war es gewesen, der seinem Vater diesen neuen Job besorgt hatte. Onkel Nabi war Parwanas großer Bruder und damit Abdullahs Stiefonkel, und er arbeitete als Koch und Fahrer in Kabul. Einmal im Monat fuhr er mit dem Auto von Kabul nach Shadbagh, und seine Besuche wurden stets von stakkatoartigem Gehupe und dem Gejohle der Dorfkinder angekündigt, die hinter dem großen, blauen Auto mit Klappverdeck und Chromleisten herrannten. Die Kinder klatschten gegen die Kotflügel und Scheiben, bis Onkel Nabi den Motor abstellte und ausstieg, ein Bild von einem Mann mit langen Koteletten und welligen, schwarzen, nach hinten gekämmten Haaren, mit einem viel zu großen olivgrünen Anzug samt weißem Hemd und braunen Slippern. Alle traten vor die Tür, um ihn zu bestaunen, weil er das Auto seines Arbeitgebers fuhr und einen Anzug trug, und weil er in der großen Stadt Kabul arbeitete.
    Onkel Nabi hatte Abdullahs Vater während seines letzten Besuches von dem Job erzählt. Die reichen Leute, für die er arbeitete, hatten vor, ihr Haus auf der Rückseite durch ein kleines Gästehaus mit eigenem Bad zu erweitern, getrennt vom Wohnhaus, und Onkel Nabi hatte ihnen Abdullahs Vater vorgeschlagen, weil dieser schon auf Baustellen gearbeitet hatte. Der Job, sagte Onkel Nabi, sei gut bezahlt und werde einen knappen Monat dauern.
    Abdullahs Vater hatte tatsächlich schon auf allerlei Baustellen gearbeitet. Er war auf Arbeitssuche gewesen, so lange Abdullah zurückdenken konnte, hatte an Türen geklopft, um für einen Tag Arbeit zu finden. Abdullah hatte einmal gehört, wie sein Vater zu Mullah Shekib, dem Dorfältesten, gesagt hatte: Wenn ich als Tier geboren worden wäre, dann sicher als Maultier. Manchmal wurde Abdullah von seinem Vater mitgenommen. Einmal hatten sie in einer Stadt, die einen Tagesmarsch von Shadbagh entfernt lag, Äpfel gepflückt. Abdullah erinnerte sich daran, dass sein Vater bis Sonnenuntergang mit hochgezogenen Schultern, sonnenverbranntem Nacken und zerkratzten Unterarmen auf der Leiter gestanden und mit seinen dicken Fingern die Äpfel einzeln von den Zweigen gedreht hatte. In einer anderen Stadt hatten sie Ziegel für eine Moschee hergestellt. Abdullah hatte von seinem Vater gelernt, den richtigen Lehm auszuwählen, den helleren, tiefer liegenden. Sie hatten Stroh in den Schlamm gemischt, und sein Vater hatte ihm geduldig gezeigt, wie man diese Mixtur so mit Wasser titrierte, dass sie nicht zu flüssig wurde. Im letzten Jahr hatte sein Vater Steine geschleppt. Er hatte Dreck geschaufelt und sich am Pflügen von Äckern versucht. Er hatte geholfen, Straßen zu asphaltieren.
    Abdullah wusste, dass sein Vater sich die Schuld an Omars Tod gab. Hätte er mehr oder besser bezahlte Arbeit gefunden, hätte er für das Baby bessere Wintersachen und dickere Decken, vielleicht sogar einen richtigen Ofen für das Haus kaufen können. So dachte sein Vater. Er hatte in Abdullahs Gegenwart seit der Beerdigung kein Wort mehr über Omar verloren, aber Abdullah ahnte, was in ihm vorging.
    Er hatte noch vor Augen, wie sein Vater einige Tage nach Omars Tod einsam unter der riesigen Eiche gestanden hatte. Diese Eiche, das älteste Lebewesen in Shadbagh, überragte das ganze Dorf. Er wäre nicht überrascht, sagte sein Vater, wenn diese Eiche miterlebt hätte, wie der Großmogul Babur damals mit seinem Heer gegen Kabul gezogen war. Er habe, erzählte er, die Hälfte seiner Kindheit im Schatten ihrer gewaltigen Krone verbracht
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