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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger
Autoren: Marlo Morgan
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hörte, war das knirschende Auftreffen von Füßen auf dem Sandboden; es klang, als würde ständig ein Klettverschluß aufgerissen. Nur manchmal wurde die Eintönigkeit durch das Geräusch eines Wüstentiers unterbrochen, das sich im nahen Gestrüpp bewegte. Dann tauchte plötzlich aus dem Nichts ein großer brauner Falke auf. Er kreiste über unseren Köpfen und stieß auf mich hinab. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß er kontrollierte, wie ich vorwärtskam. Er blieb immer über mir und stieß auf keinen der anderen herab. Aber schließlich unterschied ich mich auch so sehr von allen anderen, daß ich gut verstehen konnte, warum er mich genauer beäugen wollte.
    Nachdem sie ewig lange geradeaus gewandert war, bog die ganze Kolonne vor mir plötzlich ohne irgendeine Vorwarnung ab. Ich war überrascht, denn niemand hatte auch nur ein Wort gesagt. Aber außer mir schienen es alle intuitiv gewußt zu haben. Ich dachte mir, daß sie vielleicht einer ihnen bekannten Spur folgten, aber ich konnte zwischen dem Sand und den Spinifex-Büschen keinerlei Pfad ausmachen. Wir wanderten einfach mitten durch die Wüste. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. In der Stille konnte ich mühelos verfolgen, wie sie von einem Thema zum anderen sprangen.
    War dies alles wirklich wahr? Vielleicht träumte ich ja nur. Quer durch Australien wandern? Aber das ist unmöglich!
    Monatelang wandern! Und es ergibt auch keinen Sinn.
    Sie hätten meinen Schrei um Hilfe gehört. Was sollte das bedeuten? Etwas, zu dem ich geboren worden sei! So ein Witz. Es gehörte wirklich nicht zu den Ambitionen meines Lebens, unter großen Mühen und Qualen den australischen Busch zu erforschen. Welche Sorgen würden sich meine Kinder und besonders meine Tochter machen, wenn sie von meinem Verschwinden hörten! Wir standen uns sehr nahe. Und was würde meine Hauswirtin, eine vornehme ältere Dame, machen? Wenn ich nicht rechtzeitig meine Miete zahlen würde, würde sie bei den Besitzern sicherlich ein Wort für mich einlegen. Erst letzte Woche hatte ich einen Fernseher und einen Videorecorder gemietet.
    Na ja - einen Gerichtsvollzieher hatte ich in meinem bisherigen Leben noch nie kennengelernt.
    Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir allerdings noch nicht vorstellen, daß wir länger als einen Tag unterwegs sein würden. Höchstens! Schließlich war nichts zu essen und zu trinken in Sicht. Plötzlich mußte ich lachen. Ein alter Witz fiel mir ein. Wie oft schon hatte ich gesagt, ich würde gern einmal eine exotische Reise gewinnen, bei der für alles bezahlt und gesorgt war! Jetzt hatte ich sie. Und es war für alles gesorgt. Ich hatte noch nicht einmal eine Zahnbürste oder Kleider zum Wechseln einpacken müssen. Es war vielleicht nicht das, was ich mir unter einer exotischen Reise vorgestellt hatte, aber im Prinzip entsprach es dem, wovon ich immer wieder gesprochen hatte.
    Im Verlauf des Tages zog ich mir so viele Schnitte unter meinen Füßen und an deren Seiten zu, daß Wunden, getrocknetes Blut und Schwellungen sich zusammen zu häßlichen, tauben und verfärbten Extremitäten verformten. Meine Beine waren steif, meine Schultern brannten und schmerzten, Gesicht und Arme waren rot und mit Blasen übersät. An diesem Tag wanderten wir ungefähr drei Stunden. Die Grenzen meiner Leidensfähigkeit wurden immer wieder aufs neue überschritten. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß ich zusammenbrechen würde, wenn ich mich nicht sofort hinsetzte. Aber dann geschah wieder etwas, das meine Aufmerksamkeit fesselte. Der Falke tauchte auf und stieß über meinem Kopf seinen seltsam schaurigen Schrei aus. Oder es kam jemand an meine Seite und bot mir einen Schluck Wasser aus einem eigenartigen Gefäß an, das an einem Strick um Hals oder Taille getragen wurde. Diese Ablenkungen gaben mir wunderbarerweise Flügel und trieben mich mit neuer Kraft weiter. Und dann war es endlich an der Zeit, das Nachtlager aufzuschlagen.
    Geschäftig machten sich alle ans Werk. Mit einer Methode, von der ich im »Handbuch für Pfadfinderinnen in der Wildnis« gelesen hatte, wurde ohne Streichhölzer ein Feuer entfacht. Noch nie hatte ich versucht, einen Stock so lange in einer Holzkerbe zu drehen, bis er Feuer fing. Den Leiterinnen unserer Pfadfindergruppe war es auch nie gelungen. Sie schafften es zwar, den Stock gerade heiß genug zu kriegen, um eine winzige Flamme zu entzünden, aber wenn sie diese dann anbliesen, um das Feuer zu entfachen, verlöschte sie wieder.
    Diese Leute
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