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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
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anderen, einen zweiten Zug für die Bauern und Arbeiter. Nicht, daß wir unsozial denken – aber tun wir den Reisenden mit weniger Kultur einen Gefallen, wenn sie zusammen mit den Gebildeten fahren? Nein! Sie fühlen sich gehemmt, werden in ihrem gewohnten Leben beeinträchtigt; eine Qual wird's für sie, sich so zu benehmen, wie sie's nur in Büchern lesen!«
    Mulanow blickte den Gang hinunter, den Forster gerade heraufgekommen war. »Sie haben nichts gesucht, gospodin?«
    Das kann ich dir doch nicht sagen, dachte Werner Forster. Ich suche zwei ängstliche, in Panik geweitete Augen. Der Zug ist lang – irgendwo werde ich das Mädchen finden … »Ich wollte zum Speisewagen«, antwortete er nun ausweichend.
    Mulanow staunte.
    »Genau entgegengesetzt, gospodin! Hinter Wagen vier, Sie waren doch schon dort.«
    Forster lächelte schief.
    »Vielleicht war ich da gerade schlaftrunken. Ist überhaupt jemand im Speisewagen um diese Zeit?«
    »Fedja ist immer da. Die Köche allerdings schlafen längst. Man müßte Koch sein, gospodin. Eine feste Arbeitszeit, braucht nur in Töpfen zu rühren und Blinis in der Pfanne hüpfen zu lassen, kann sich rund und fett fressen und bekommt gute Rubel dafür.«
    Der Schaffner Mulanow setzte sich in Bewegung. Es war seine Aufgabe, den hohen Gast zu seinem Abteil zurückzugeleiten.
    Forster folgte ihm. Für heute war die Suche beendet.
    »Ich habe gehört, Klaschka hat Sie belästigt?« fragte Boris Fedorowitsch.
    »Wer ist Klaschka?« fragte Forster zurück. Er dachte an das unbekannte Mädchen, das in den Zug sprang wie ein gejagter Fuchs.
    »Na, Sie wissen doch, gospodin …« Mulanow blinzelte mit den Augen.
    »Das rothaarige Riesenweib?«
    »Die Reisenden reagieren natürlich unterschiedlich darauf. Pal Viktorowitsch, Ihr Nachbar, war tief beleidigt. Aber die meisten lieben es, ein wenig Unterhaltung zu haben. Zwischen Tjumen und Omsk wird es langweilig, da fahren wir durch die Sümpfe. Und zwischen Krasnojarsk und Irkutsk ist nur Wald und wieder Wald! Und dann hinter Tschita, am Amur entlang … Wir haben Bären an den Schienen gesehen, die haben vor Einsamkeit geweint! Man könnte trübsinnig werden, gospodin, und deshalb ist Klaschka notwendig. Eine medizinische Notwendigkeit, genaugenommen, zur Abwendung seelischer Störungen. Ich werde dafür sorgen, daß sie Ihr Abteil nicht mehr besucht.«
    »Danke.«
    Forster sehnte sich nach seinem Bett. Die Geschwätzigkeit Mulanows fiel ihm jetzt auf die Nerven.
    Sie war ganz ohne Gepäck, dachte er. Und wie sie in den Zug sprang – es sah ganz so aus, als habe sie keine Fahrkarte. Ein blinder Passagier im Transsibirien-Expreß? Wo kann man sich hier verstecken?
    Unter den wachsamen Augen Mulanows schien das unmöglich, und trotzdem mußte es gelungen sein, denn der Schaffner erwähnte mit keinem Wort ein Mädchen, das so unverfroren war, ohne Billet quer durch Rußland zu fahren …
    Im Abteil saß Karsanow in seinem Bett und blickte mißmutig vor sich hin. Er trug einen jener typisch russischen gestreiften Schlafanzüge, die man überall trifft.
    Karsanow schien Forster vermißt zu haben. Er atmete sichtlich auf, als sich die Schiebetür öffnete und der Schaffner Forster höflich einließ.
    »Da sind Sie ja, Werner Antonowitsch!« rief Karsanow.
    Er wartete, bis die Tür zugeschoben und der Schaffner zurück in sein Dienstabteil gegangen war. »Sagen Sie bloß, Sie haben diesem rothaarigen Frauenzimmer einen Besuch abgestattet! Ein Mordsweib, das muß man zugeben – aber gefährlich, sehr gefährlich! Ich möchte Sie vor diesen Dirnen warnen! Es ist ein Fehler, die Syphilis eine Franzosenkrankheit zu nennen, sie ist vielmehr eine russische Krankheit. Historisch belegt! Nirgendwo gab es soviel Idioten und Krüppel wie im alten Rußland. Aber es bessert sich, es bessert sich alles! Wir kehren mit eisernem Besen. Wir haben die Prostitution verboten, aber was da noch heimlich geschieht – wer kann's kontrollieren? Wer kann's abstellen? Und Gauner wie dieser Boris Fedorowitsch verdienen noch daran!«
    »Sie haben sich unnötig Sorge um mich gemacht, Pal Viktorowitsch.« Forster zog sich aus, schlüpfte in seinen französischen Pyjama, von Karsanow aufmerksam beobachtet. Man konnte aus seinen Augen deutlich ablesen, daß der Russe dabei an die Dekadenz des Westens dachte.
    Forster legte sich auf sein Bett. Er deckte sich nicht zu, denn das Abteil war überheizt, die Luft stand dick im Raum und roch säuerlich von Karsanows
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