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Träume in Kristall

Träume in Kristall

Titel: Träume in Kristall
Autoren: Yasunari Kawabata
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besuchen oder etwas einkaufen gehen, – allein, wie er war, begann er sich unterwegs unglücklich zu fühlen und kehrte schließlich um. Fand sich also sonst keine weibliche Begleitung, blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Hausmädchen mitzunehmen.
    Abgesehen davon, daß er jetzt unterwegs war, um Chikako tanzen zu sehen: nachdem er sich von dem Hausmädchen auch noch den Blumenkorb tragen ließ, konnte er unmöglich zurück und etwa sagen: »Lassen wir’s, fahren wir heim.«
    Bei diesem Tanzabend – er wurde von einer Zeitung veranstaltet – handelte es sich um eine Art Konkurrenz zwischen vierzehn oder fünfzehn Tänzerinnen. Er hatte Chikako seit zwei Jahren nicht mehr auf der Bühne erlebt, doch war ihr Tanz nun so degeneriert, daß er die Augen abwandte. Geblieben war von jener wilden Kraf nicht mehr als das übliche kokettierende Wesen. Mit der einstigen körperlichen Gestrafftheit waren ihr auch die fundamentalen Formen des Tanzes verlorengegangen.
    Unter dem Vorwand, es sei gewiß ein schlechtes Omen, daß er – wenn auch der Taxifahrer so und so gesagt habe – einem Trauerzug begegnet sei und daß bei ihm zu Hause noch die Goldhähnchenleichen lägen, ließ er das Mädchen den Blumenkorb in die Garderobe bringen; nachdem aber Chikako ihn unbedingt zu sehen wünschte und er angesichts ihres Tanzes an diesem Abend ein ausführliches Gespräch für peinlich hielt, ging er, da es denn sein mußte, im Gedränge einer Zwischenpause zu ihrer Garderobe, aber nur, um sich dort am Eingang, ohne daß er einen Augenblick stehengeblieben wäre, hinter dem geöffneten Türflügel zu verbergen.
    Chikako wurde eben von einem jungen Mann geschminkt.
    Die Augen still geschlossen, den Hals ein wenig nach oben gestreckt, als ob sie sich dem jungen Mann völlig ergeben hätte, erschien ihr unbewegtes, grell weißes Gesicht, da Lippen und Brauen und Lider noch nicht nachgemalt waren, wie das einer leblosen Puppe. Ja, geradezu wie das Gesicht einer Toten.
    Vor nicht ganz zehn Jahren hatte er einmal mit Chikako zusammen Doppelselbstmord begehen wollen. Damals war zwar seine ständige Redensart gewesen: ›Ich möchte sterben, ich möchte sterben‹ –, doch einen eigentlichen Grund, daß er hätte sterben müssen, hatte es nicht gegeben. Es war wohl nur die Vorstellung, für immer allein und mit den Tieren zu leben, eine Vorstellung, den Schaumblüten gleich, die über ein solches Leben hintrieben. Gerade deshalb hatte er die Empfindung: Chikako, die sich gedankenlos anderen überließ, als brächte ihr irgendein Unbekannter einmal, was sie sich erhofe von dieser Welt, sie, die selber noch gar nicht richtig zu leben schien, wäre die geeignete Gefährtin im Tod. Schließlich, mit unverändertem Gesichtsausdruck, als begriffe sie nicht, was sie da tat, nickte Chikako einfältig; nur einen Wunsch sprach sie aus.
    »Binden Sie mir aber die Beine fest zusammen; man
    wühlt nämlich dabei, heißt es, den Rocksaum hoch.« Erst da, als er sie mit einer dünnen Schnur zusammenband, bemerkte er erstaunt, wie schon ihre Beine waren, und er dachte: »Was ist er, werden die Leute sagen, mit einer so hübschen Frau gestorben …«
    Sie legte sich so, daß sie ihm den Rücken zukehrte, und arglos die Augen schließend, streckte sie den Hals ein wenig aus. Und dann preßte sie ihre Handflächen aneinander. Ihn aber traf wie ein Blitz die beglückende Erfahrung der Leere.
    »Nein, wir werden nicht sterben.«
    Zweifellos, ihm war weder nach töten noch nach sterben zumute. Und bei Chikako wußte man nicht, ob es Ernst war oder eine spielerische Laune. Dem Gesichtsausdruck nach keines von beiden. Es war an einem Nachmittag im Hochsommer.
    Indessen hatte ihn das irgendwie so erschreckt, daß er danach, ohne auch nur im Traum noch an Selbstmord zu denken, nie wieder davon sprach. Mag geschehen, was will, immer werde ich mich dankbar an diese Frau erinnern müssen, – so klang es damals durch die Tiefe seines Inneren.
    Wie sie jetzt von dem jungen Mann für den Tanz geschminkt wurde, hatte Chikako ihn an ihr damaliges Gesicht, an ihre zusammengelegten Hände erinnert. Auch zuvor der Tagtraum, der, gleich nachdem er das Taxi bestiegen, in ihm aufgetaucht war, hatte dies gemeint. Ja, sooft er, nachts zumal, zurückdachte an jene Chikako, immer sah er sie vor seinem inneren Auge eingehüllt in die Helle der weißen Hochsommersonne.
    »Warum aber, möchte ich wissen, habe ich mich dann
    so rasch hinter der Tür versteckt?« murmelte er vor
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