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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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machen wollte: Artikel schreiben, recherchieren, vielleicht Dokumentarfilme drehen. Meinen ersten gut bezahlten Job fand ich allerdings in der Werbung. Im Prinzip konnte ich auch dort genau das tun, was mir Spaß machte. Ich bekam genügend Geld und die Möglichkeit, für meine Analysen alle Themen zu recherchieren, die mich interessierten, und ich konnte schreiben. Von Beginn an fühlte ich mich ernst genommen, hatte sogar eine wichtige Funktion in der Agentur.
    Noch spannender wurde es, als ich eine Strategie-Abteilung aufbauen durfte und eng mit ein paar sehr schlauen und ehrgeizigen Jungs meines Alters zusammenarbeiten konnte, die sich um die kreative Leitung kümmerten. Es war wie ein Rausch, eine Wachheit, die abhängig machte. Und solange es immer weiter aufwärtsgeht, muss man sich keine Fragen stellen.
    Ich lernte Aad im Konferenzraum eines gut frequentierten Restaurants kennen, in das ein Kollege mich geschleppt hatte – eine Gruppe Strategen wollte sich dort mit kreativen Arbeiten anderer Agenturen auseinandersetzen. Ich traf auf eine Gruppe von Männern, die ich damals »schon älter« fand, die aber wahrscheinlich um die 40 waren. Ich war dort eine der wenigen Frauen und in einem Alter, in dem man noch mit fröhlicher Unschuld kurze Röcke mit hohen Absätzen kombiniert. Nachdem wir einige farblose PowerPoint-Präsentationen gesehen hatten, erschien Aad, ein junger Werbetexter, der über ein Video mit ausländischen Werbesendungen sprechen sollte. Seine blonden Wuschelhaare und der verwaschene Sweater bildeten einen deutlichen Kontrast zu den anthrazitfarbenen Anzügen der Herren Strategen. Er hielt einen kurzen, aber durchdachten Vortrag mit einem Witz oder einer Relativierung an den richtigen Stellen. Dich finde ich nett!, dachte ich und gesellte mich nach dem Vortrag zu der Gruppe Männer, die um Aad herumstand. Ich wurde in ein sehr langatmiges Gespräch verwickelt, in dem ein ergrauter Herr sehr ernsthaft darlegte, dass der Anteil Humor in einem Film nicht über 55 Prozent liegen solle. Vorsichtig entfernte ich mich von der Gruppe, und Aad tat dasselbe.
    Anderthalb Jahre später heirateten wir, vielleicht, weil genau das damals in unserem Alter und in unseren Kreisen nicht üblich war. Von Aads Wohnung im Zentrum von Amsterdam zogen wir los. Nachdem die Polizei die Junkies verjagt und herumliegende Spritzen in die Gracht gekickt hatte, konnten wir in das Boot steigen, das dort festgemacht hatte, um durch die Grachten zum Standesamt zu fahren. Ich trug ein langes, enges Kleid von »Puck & Hans«, das damals total angesagt war, was die Kinder später nicht nachvollziehen konnten. Vielleicht hätte ich bedenken sollen, dass die Töchter, die ich einmal zur Welt bringen würde, in ihrer Mutter gerne die Prinzessin gesehen hätten. Wir heirateten im Rathaus von Amsterdam, an dessen Anlegestelle uns unsere Freunde erwartet hatten. Gefeiert wurde an diesem Abend im Haus von Rex und seiner Freundin Anneke, wo der stolze Vater den Innenhof des Bauernhofs extra für die Hochzeit hatte pflastern lassen. Nach einigen Gläsern Wein war er richtig in Stimmung. Auf einer großen Bühne standen Bläser und eine unglaublich gute Sängerin mit einem riesigen Mund und einer entsprechenden Stimme.
    Es war ein phantastischer Abend – das Leben war schön und konnte nur noch schöner werden, da war ich mir ganz sicher.

2
    Für unsere Hochzeitsreise mieten Aad und ich ein Segelboot in Griechenland, wo wir von Athen aus nach Hydra hinübersegeln. Dann fahren wir, mit Hilfe der Karten und unserer ungefähren Position, einfach drauflos. Die nächste Insel, Serifos, liegt fast 60 Meilen weiter in den Kykladen und ist selbst mit dem Fernrohr nicht zu erkennen. Es ist das erste Mal, dass wir ins Nichts hineinfahren, umgeben von einer sich kräuselnden Wasserfläche, die bis zum Horizont reicht. Erst unterhalten wir uns noch, aber schon bald sind wir gemeinsam still, versunken in unsere eigene Gedankenwelt blicken wir in den silbern leuchtenden Schimmer auf dem Wasser. Ich fühle, wie mich eine Ruhe erfüllt, die größer ist als ich selbst – die bewohnte Welt mit ihren Menschen und Autos, Problemen und ihrem Streben scheint unerreichbar weit weg, beinahe vergessen.
    In den kommenden Tagen legen wir an Inseln an, auf denen oft nur wenige Familien wohnen, die einen Leuchtturm betreiben oder ein paar Fischerboote
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