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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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besitzen. Wir meistern ernsthafte Stürme und sinken nachts todmüde, aber zutiefst zufrieden in den Schlaf. Jeden Abend finden wir irgendwo einen Holztisch unter einer Überdachung aus blaugefärbtem Metall gedeckt mit Schilf. Das Menü ist immer gleich: Griechischer Salat. Hühnchen. Sardinen. Schwertfisch. Wir trinken Retsina, merken, dass dieses Leben alles ist, was wir brauchen, und sind lächerlich glücklich.
    Wir müssen uns ganz schön umstellen, als wir wieder in die Niederlande zurückkommen, und wir fragen uns, ob es dort auch schon so stressig war, bevor wir wegfuhren. Während der Arbeit lese ich Bevölkerungsstudien: Mit fast 400 Einwohnern pro Quadratkilometer sind die Niederlande das am dichtesten bevölkerte Land in Europa. Ich frage mich, wo die fast eine Million Menschen leben sollen, die in den kommenden 30 Jahren noch erwartet werden.
    Â»Wenn du Kinder haben willst, solltest du dich nicht mit mir zusammentun«, hatte ich zu meinem ersten Freund gesagt. Als kleines Mädchen war Tante Clara mein Vorbild, die ganz alleine ein cooles Leben führte, und auch später übte das Gerede über Babyzimmer und das Konzept »junges Paar hinter dem Kinderwagen« wenig Anziehungskraft auf mich aus.
    Aber Aad hat schon einen Sohn aus seiner ersten Ehe, Niek, einen blonden Jungen, der erst zwei Jahre alt ist, als ich ihn das erste Mal sehe – alle zwei Wochen ist er am Wochenende bei uns. Ich versuche, einen angemessenen Abstand zu wahren, aber der wird von Niek schon bald nicht mehr eingehalten – er findet mich nett. Irgendwo in meinem Inneren scheint es einen Vorrat an Spielen, Liedern und Kinderhumor zu geben, der plötzlich fröhlich nach oben sprudelt. Es fühlt sich gut an, ein Kind im Pyjama auf dem Schoß zu haben, und so bin bald ich es, die seine Windeln wechselt und ihn tröstet, wenn er hingefallen ist. Es erstaunt mich, wie einfach und natürlich ein Kind in mein Leben passt, dass es etwas in mir gibt, das zumindest diesen Jungen glücklich macht. Aber Niek hat schon eine Mutter.
    Plötzlich ist es die natürlichste Sache der Welt, mit 28 bin ich schwanger. Ich fühle mich stark und gesund, und je weiter die Monate fortschreiten, desto stärker wird das Gefühl, dass das alles richtig ist.
    Marijn wird in dem hochgelegenen Schlafzimmer am Westerhoutpark geboren. Auf dem Tischchen neben dem Bett brennt eine dicke Kerze in Omas antikem Kerzenständer. Ich bin in mich gekehrt, versuche lang und ruhig zu atmen und meine Gedanken auf etwas anderes zu richten als auf den Lastwagen, der in wiederkehrenden Abständen über meinen unteren Rücken fährt. Ich sehe Szenen von Gemälden von Hieronymus Bosch vor mir, mittelalterliche Dorfplätze, auf denen Zähne ohne Betäubung gezogen und Glieder amputiert werden. »Das ist völlig sinnlos! Das ist absurd!«, rufe ich und finde mich noch ziemlich höflich für einen Menschen, an dem herumgeschnitten wird, während eine andere Frau sich gleichzeitig mit voller Wucht auf seinen Bauch wirft. Dann übernimmt eine Kraft, die größer ist als ich, machtvoller als der Schmerz. Loulou, die Hebamme, legt Marijn mit einer fließenden Bewegung auf meine Brust und deckt sie mit einem kleinen Tuch aus weichem Flanell zu. Aad kniet voller Stolz und Liebe neben uns – eine sanfte Stille legt sich über die Familie. Ich rieche die süßen Haare von Marijn und schaue sie an.
    Du bist es, denke ich.
    Ruhig und ganz selbstverständlich nimmt Marijn ihren Platz in der Welt ein. Den größten Teil des Tages trage ich sie am Körper in einem grünen Tragesack mit kleinen, weißen Sternen darauf. Sie trinkt bei mir, schläft in meinen Armen, entdeckt mit einer stillen Freundlichkeit die Dinge um sich herum. Wieder arbeiten zu gehen ist schwieriger, als ich dachte. Da sitze ich also mit einer lärmenden Milchpumpe in einem abgeschlossenen Zimmer, während im Raum nebenan Besprechungen stattfinden. Die Wochen verstreichen, und allmählich finden sich die Dinge: Die Krippe wird zu einem vertrauten Ort, es genügt mir, einen Tag in der Woche hinter dem Kinderwagen herzulaufen.
    Noch bevor Marijn zwei Jahre alt ist, kommt ein zweites Kind: Fiene – ein kleines, energisches Mädchen, das mit einer skeptischen Haltung in die Welt blickt. Mühelos zapfe ich einen zweiten Vorrat unerschöpflicher Liebe an, mühelos findet Fiene ihren
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