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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Lächeln auch die aufdringlichsten Teppichverkäufer auszuschalten wusste. Sie trug schwarze Seidenhosen, schöne weite Röcke, klingelnde Armbänder und ihr Haar als halblangen Pagenkopf – man denke an Roxy Music und die Pointer Sisters. Erst als ich erwachsen war, wurde mir bewusst, wie wenig Geld wir damals gehabt haben müssen. Geld war ein Thema, das Simone nie interessiert hat. Auf Jugendfotos sieht man sie in ihrem Gartenhäuschen vor einer Villa in Heemstede oder breitbeinig, im weißen Trainingsanzug, auf einem Tennisplatz im Garten stehen. Als geschiedene Mutter wohnte sie eben in einem Neubauviertel, und das war auch in Ordnung. Ich glaube nicht, dass ich sie je habe klagen hören.
    Michiel war in der Grundschule sehr beliebt, ich dagegen bewegte mich mehr am Rande, ein zu langes, dünnes Mädchen, das stundenlang in seinem Zimmer saß und malte, als einzige Gesellschaft eine immer kahler werdende Katze, die von ihrer Sterilisation einen Hängebauch zurückbehalten hatte.
    Â»Lidewij könnte, wenn sie nur wollte«, stand in den ersten Klassen auf der weiterführenden Schule regelmäßig in meinem Zeugnis. Wenn alle sowieso schon wissen, dass ich es kann …, dachte ich, als ich am ersten Tag der Prüfungswoche eine strahlende Sonne über den Häusern aufgehen sah. Es hatte schon beinahe eine Woche gefroren, und nach dieser sternklaren Nacht musste das Eis überall dick genug sein. Ich ließ meine Schultasche stehen, nahm mein Fahrrad und band wenig später auf einem Baumstumpf sitzend meine Schnelllauf-Schlittschuhe zu. Die Eisfläche war spiegelglatt, unermesslich groß, und ich hatte sie ganz für mich alleine. An diesem Tag lief ich eine riesige Runde, am nächsten Tag wieder und immer so weiter bis zum Ende der Woche.
    Ich glaube, niemand war überrascht, als ich eine Sechs für jede der verpassten Prüfungen bekam. Das Mädchen-das-es-kann-aber-es-nicht-zeigt war für die Lehrer jetzt ein für alle Mal Vergangenheit, keine Diskussionen mehr, ich musste die Schule verlassen. Da war ich 13.
    Nach dem freundlichen Gymnasium war die Hauptschule grausig. Jede überdurchschnittliche Note wurde mit Argwohn betrachtet, und die dicke Tochter des Metzgers machte sich die Mühe, mir jeden Tag kurz mitzuteilen, wie bescheuert und vor allem wie hässlich ich sei. Eine persönliche Meinung, die ich schon bald für die Wahrheit hielt und von der ich aus Scham nicht einmal Simone erzählte. Aber die Sache führte dazu, dass ich Lust bekam, endlich loszulegen. Mit kurz vor dem Explodieren stehenden Lungen tauchte ich mit 16 Jahren endlich auf. Die Realschule war eine andere Welt, zwei Jahre später hatte ich den Abschluss in der Tasche.
    Miriam erinnert sich noch genau daran, wann sie mich das erste Mal im Abendgymnasium in Haarlem gesehen hat. »Die Stunde hatte bereits vor zehn Minuten begonnen, als du auf einmal in die Klasse kamst«, erzählt sie.
    Â»Wir haben bereits angefangen. Wenn du nicht rechtzeitig kommst, kannst du gleich wieder gehen«, hatte Anja Schoof, die Biologielehrerin, damals gesagt. »Es tut mir leid«, antwortete ich, »aber ich habe für diese Ausbildung bezahlt, und jetzt will ich auch was davon haben.« Zwei Mädchen hatten mich lachend angeschaut – es war nur logisch, dass wir Freundinnen wurden.
    Annemiek hatte abwechselnd schneeweißes und pechschwarzes Haar, das sie so toupierte, dass es auch noch aufrecht stand, wenn sie sich hinlegte. Sie kam aus einer freundlichen Gärtnerfamilie aus Lisserbroek und tat alles, um sich von ihrer alten Umgebung abzugrenzen. Sie trug atemberaubend große Ohrringe, kurze Tüllröcke und Netzstrümpfe oder Latzhosen mit Bleichflecken und war sehr gut in Mathematik und Wirtschaftslehre. Und Miriam, die unglaublich schön sein konnte, blond und glamourös mit der Ausstrahlung einer Debbie Harry und am nächsten Tag plötzlich in einem alten Männerjackett und einer komischen Wollmütze erschien – ein Schatten ihrer selbst. Miriam wusste immer, wo etwas los war, wo die Feten stattfanden, auf denen die echten Punker rumhingen. Sie war schlau, impulsiv, und ich mochte sie sofort.
    Zwei Jahre später studierten Miriam und ich an der Universität Amsterdam – zuerst Niederländisch, dann Kommunikationswissenschaften. Ich saß in der Redaktion der Fachschaftszeitung und wusste endlich, was ich später
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