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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung
Autoren: Arnold Kuesters
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die Mundharmonika spielt.« Frank sprach mehr zu sich selbst als zu seinen Kollegen.
    »Ist das so ungewöhnlich? Viele Behinderte lieben Musik.« Ecki sah Frank fragend an.
    »Eine Bluesharp.« Frank straffte mit dem Daumen den Plastikbeutel, um den Inhalt besser betrachten zu können.
    »Da bist du ja Spezialist.« Ecki hätte das zwar nie explizit zugegeben, schon gar nicht Frank gegenüber, aber er fand es klasse, dass sein Freund und Kollege in einer Bluesband spielte.
    »Der Kunststoffkörper hat durch die Hitze etwas gelitten. Aber sonst scheint die Harp gut gepflegt gewesen zu sein. Oder sie war sogar neu.« Frank drehte den Beutel mehrfach hin und her.
    »Neu?«
    »Jedenfalls kann ich keine Gebrauchsspuren entdecken.«
    »Die Mundharmonika ist ja nicht groß.« Michael Eckers versuchte, ebenfalls eine Besonderheit zu entdecken. »Bist du dir sicher, dass es eine Bluesharp ist?«
    »Zehn Kanzellen.«
    »Was für Zellen?«
    »Die Mundharmonika hat zehn Öffnungen. Durch Blasen und Ziehen kannst du pro Kanzelle zwei unterschiedliche Töne erzeugen. Das ist eine diatonische Mundharmonika, Richterausführung.«
    »So genau wollte ich es gar nicht wissen, Frank.« Ecki wandte sich an Torsten Linder. »Ziemlich mager.«
    »Tja, mehr haben wir nicht. Wenn man mal von dem Waldboden, den Ästchen, den Laubresten und so absieht.«
    »Eine Harp in D - D ur.« Frank legte den Beutel zurück.
    »Ich bin auf die Fingerabdrücke gespannt.«
    »Was mag sie damit gespielt haben?«
    »Das ist doch eine Bluesharp, hast du gesagt«, antwortete Ecki geistesabwesend, sein Interesse galt mehr der eingetüteten Plastikflasche. »Torsten, ich möchte von dir wissen: Wer ist der Hersteller, Abfülldatum, wer vertreibt diese Flasche? Kriegst du das gebacken?«
    Das »kein Problem« des Kriminaltechnikers klang eine Spur zu sarkastisch, um wirklich überzeugend zu sein.
    »Wusst ich doch.« Ecki zahlte in gleicher Münze zurück.
    »Ist zu komplex.«
    »Was? Die Analysen?« Ecki hob die Augenbrauen.
    »Harmonika-Blues. Ich glaube nicht, dass sie Melodien spielen konnte.«
    »Ist doch egal, oder? Hauptsache, sie konnte überhaupt ein paar Töne aus dem Ding herausholen. Behinderte Menschen haben ein ganz eigenes Verständnis von Musik. Außerdem gibt es wichtigere Fragen zu klären als das musikalische Talent der Toten.«
    »Als Harpspieler macht man sich halt seine Gedanken.«
    »Um deine schiefen Töne kannst du dich nach Dienstschluss kümmern.«
    Ecki ließ keine Gelegenheit aus, um klarzumachen, was er von Franks Liebe zur »Negermusik« hielt, wie er Blues absichtlich politisch unkorrekt nannte.
    »Kollegen, könntet ihr mich jetzt bitte allein lassen? Sonst dauert’s mit meinen Antworten umso länger.«
    Auf dem Weg zu ihrem Büro klingelte Franks Mobiltelefon. Es war die Leitstelle.
    »Was ist los, Rostek?«
    »Es geht um die Tote aus dem Wald.«
    »Und?«
    »Wir könnten den Namen haben. Eine Vermisstenmeldung.«
    »Und?«
    »Elvira. Elvira Theissen. Dreiundzwanzig. Ihr Betreuer hat sich gemeldet. Sie wird seit zwei Tagen vermisst.«
    »Vielleicht ist sie ja tatsächlich unsere Tote.« In Wahrheit hatte Frank wenig Hoffnung. Behinderte Menschen wurden ständig vermisst.
    Die Wohnung von Elvira Theissen lag im zweiten Stock eines unauffälligen Mehrfamilienhauses in einer Seitenstraße mitten in der Rheydter Innenstadt. Bis zum Marienplatz waren es nur wenige Meter.
    Um diese Tageszeit war auf den Einkaufsstraßen viel Betrieb. Müßiggänger betrachteten gelangweilt die Auslagen der knallbunt beklebten Billigläden, eilige Passanten drängten sich an Kinderwagen vorbei, die von müde wirkenden Müttern geschoben wurden. Vor dem Eingang zur Einkaufsgalerie vertrieben sich orientalisch aussehende Männer die Zeit mit Warten. Durch ihre Finger flossen in einem endlosen Strom die aufgefädelten Gebetsperlen.
    An den Haltestellen entluden die Busse ihre Fracht im Minutentakt. Jugendliche in weiten Hosen, übergroßen Shirts und schief sitzenden Baseballcaps schlenderten, ohne nach links und rechts zu schauen, über die Straße. Mädchen in engen T - S hirts, mit riesigen Ohrringen und verschwindend kleinen Handtaschen probierten vor McDonald’s ihre Wirkung auf die sie abschätzend musternden Jungs aus. Taxis bewegten sich nur im Schritttempo durch das Gewühl.
    Frank ging mit Ecki langsam auf den Eingang des Hauses zu. Trotz des geschäftigen Treibens hatten für ihn die Szenen etwas Trostloses, als wären die Menschen Statisten
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