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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung
Autoren: Arnold Kuesters
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hinauf, den Kampf mit seiner Unterwelt nimmt er gelassen auf. Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken, der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken. Der mit sich selbst in Frieden lebt, der wird genauso sterben und ist selbst dann lebendiger als alle seine Erben.«
    Frank nickte. »Novalis.«
    »Irgendwie schön.«
    »Los jetzt, Ecki. Wir dürfen keine Zeit verlieren.« Frank wurde immer unruhiger. Wo war Heinz-Jürgen? Ihm schoss die Liedzeile aus Hostage of Love von Razorlight durch den Kopf: I am a sinner, and I am a saint, I am a devil, I am the ghost at the wake, I feed the swell and pull, Of your tears as they break, I am the limit of, The load you can take .
    Frank hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. »Ich muss hier raus.«
    »Du hast recht. Das Zeugs wird uns noch genug Arbeit machen.« Ecki legte die Blätter auf den Schreibtisch zurück.
    Beim Verlassen des Büros deutete Ecki auf die Anlage. »Möchte mal wissen, wie Jennes hier unten die Lautstärke ausgehalten hat. Hier ist doch alles dicht.«
    Frank blieb abrupt stehen. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
    »Nichts stimmt hier. Jennes ist total krank.«
    »Das meine ich nicht. Die Räume, der Grundriss. Etwas stimmt nicht. Wir haben nicht alle Räume gesehen. Komm.«
    Die beiden Ermittler kehrten zur Kellertreppe zurück. Dort blieb Frank stehen. »Stell dir den Grundriss vor.« Frank schloss die Augen. Wie um seine Gedanken zu unterstützen, fuhr er mit dem Finger durch die Luft.
    Ecki konnte sich den Grundriss nicht vorstellen.
    Frank öffnete die Augen wieder. »Das Büro, Ecki. Hinter dem Büro muss noch ein Raum liegen.« Frank stürmte los.
    Im Büro blickten sie sich ratlos um. Es gab keine Tür, die sie hätten übersehen können.
    »Das Regal, Ecki.« Frank hatte es kaum ausgesprochen, da war er auch schon an der Wand und zog die Ordner von den Regalen und warf sie achtlos zu Boden.
    Nach wenigen Augenblicken war das Regal leer geräumt. Mit vereinten Kräften schoben sie es Zentimeter um Zentimeter von der Wand.
    Schließlich fanden sie, was sie gesucht hatten. Vor ihnen erschienen die Umrisse einer Stahltür. Auf das Türblatt war ein fotokopierter Spruch geklebt: Ich male den Teufel an die Wand, damit er mir nicht begegnet. Jakob Arjouni .
    Jennes musste sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein, dachte Ecki, denn neben der Tür hing an einem Haken in der Wand ein Schlüssel.
    Frank steckte ihn in das Schloss. »Passt.«
    »Los, mach auf.«
    Frank zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. Er hatte Angst vor dem, was ihn hinter der Tür erwarten würde.
    Vorsichtig drehte er den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür, die erstaunlich leicht nach innen aufschwang.
    Zunächst sahen sie nichts. Nur ein feiner singender Ton war zu hören, der in regelmäßigen Abständen unmerklich an- und dann wieder abschwoll.
    Frank schaltete das Deckenlicht ein.
    »Wir brauchen einen Arzt.« Mehr brachte Frank nicht hervor.
    Ecki zog sein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer der Leitstelle, aber er hatte keinen Empfang und rannte sofort zur Kellertreppe.
    Frank löste sich nur langsam aus seiner Starre. Der Archivar saß stramm gefesselt auf einem alten weißen Küchenstuhl, sein Kopf hing vornüber. Die vorderen Stuhlbeine und Schrievers’ Beine standen in einer Zinkwanne, die mit Wasser gefüllt war. Die Luft war abgestanden, und es roch nach Urin.
    Frank trat vorsichtig an Heini heran und legte fast scheu seinen Zeige- und Mittelfinger an Schrievers’ Halsschlagader. Die Haut fühlte sich so dünn an wie Papier. Frank hob Schrievers’ Kopf ein wenig an. Da sah er, woher der harfenähnliche Klang kam: In Heinz-Jürgens aschgrauem Gesicht klebte graues Klebeband, das eine Bluesharp in Miniformat in seinem Mund fixierte.
    Heinz-Jürgen Schrievers lebte noch.
    Hendrik Jennes hatte bei seiner Vernehmung nicht einen Augenblick lang erstaunt reagiert, als er von der Rettung des Archivars erfahren hatte. Er sprach im Gegenteil sichtlich erleichtert, ruhig und mit klarer Stimme in das Mikrofon: »Gute Arbeit, meine Herren. Ich bin endlich erlöst. Ja, ich habe die Taten begangen, denn ich habe mich von meiner Last befreien wollen. Nun soll es genug sein. Mein Leben wird auf ewig bestimmt sein von klassischer Musik. Und dies ist nun gleichsam mein Vermächtnis und meine Erkenntnis als Kind meiner Eltern: Du musst sie mitnehmen, die Menschen, die du liebst, auf deiner Reise durch dein
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