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Totenschleuse

Totenschleuse

Titel: Totenschleuse
Autoren: Dietmar Lykk
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geöffnet hatte und das erste Schiff langsam in den Kanal hinüberglitt.
    »Sie wohnen auf Sylt?«
    »Es ist nur ein Wochenendhaus.« Molsen setzte die Brille wieder auf und rieb sich danach die Ohrläppchen. »Ich habe hier im obersten Stockwerk meine Wohnung.«
    Malbek nahm das Seemannsbuch aus der Innentasche seiner Lederjacke und blätterte darin.
    »Oh, ist das sein Seemannsbuch?«, fragte Molsen mit belegter Stimme.
    »Es war in seinem Seesack.«
    »Ach so. Natürlich«, antwortete Molsen leise.
    »Das scheint ja von Ihrer Personalabteilung alles ordentlich eingetragen worden zu sein«, sagte Malbek. »Jedenfalls auf den ersten Blick. Schiffsgröße, Maschinenleistung, mittlere Fahrt, kleine Fahrt, Urlaubsansprüche, Unterschrift des Kapitäns, Beglaubigungen des Seemannsamtes … aber das werden wir natürlich noch alles überprüfen …« Malbek klappte das Seemannsbuch zu und sah Molsen in die Augen. »Markus Peters soll Streit mit Ihnen gehabt haben.«
    »Was? Wer sagt denn so was? Ich kannte ihn doch nicht einmal. Ich habe ihn nie gesehen.«
    »Wer hat ihn eingestellt?«
    »So etwas macht Herr Geerdsen, jedenfalls bei den Auszubildenden.«
    »Und welche anderen Funktionen hat Herr Geerdsen noch?«
    »Wie?«
    »Hat er in der Firma noch andere Funktionen? Sie sagten, dass er Auszubildende einstellt, und ich frage mich deshalb, wer die anderen Mitarbeiter einstellt.«
    »Ach, das war nur so eine Redensart von mir. Herr Geerdsen ist seit fünfundzwanzig Jahren bei uns und hat eine ganz ausgezeichnete Menschenkenntnis.«
    »Ah ja. Dann hatte Markus Peters vielleicht Streit mit Herrn Geerdsen? Es soll um die Ausbildung an Bord gegangen sein. Hat Herr Geerdsen Ihnen nichts davon erzählt?«
    »Nein. Wer hat denn das mit dem Streit behauptet?«
    Malbek ignorierte seine Frage. »Die Personalangelegenheiten überlassen Sie also völlig Herrn Geerdsen?«
    »Ja, natürlich, ich kann mich doch nicht um jeden Kleinkram kümmern«, sagte Molsen.
    Er war jetzt gereizt. Vielleicht war er es nicht gewohnt, dass man seine Fragen nicht beantwortete. Sicher würde er lieber noch etwas über seinen Großvater erzählen. Er tunkte einen Keks in den Kaffee, kleckerte, grunzte ärgerlich, legte ihn an den Rand der Untertasse und wischte mit der Serviette herum. Das war nicht mehr der joviale, weltmännische Reeder, der Malbek mit ausgestreckter Hand auf der Treppe entgegengeeilt war, sondern ein vom Leben enttäuschter alter Mann, der wieder mal vergessen hatte, sich zu rasieren.
    »Sie können mir also nichts weiter über Markus Peters erzählen, Herr Molsen?«
    »Nein, absolut nichts. Ich sagte Ihnen schon, ich habe ihn nie gesehen, geschweige denn gesprochen.« Er mahlte mit dem Unterkiefer und rieb sich wieder die Ohrläppchen.
    »Sie hatten eine mutige Innenarchitektin«, sagte Malbek und sah um sich.
    Die Einrichtung war minimalistisch, die Büromöbel aus schwarzen und hellbraunen Hölzern, als Farbtupfer Gemälde von Schiffen und Porträts an den Wänden, rote und sonnengelbe Vasen, und, wie im Empfangsbereich, aufwendig gefertigte Schiffsmodelle alter Frachter hinter Glas, jeder mit einem Wald von Masten und filigraner Takelage ausgestattet. Ein reizvoller Kontrast zu den hohen Stuckdecken und den mächtigen getäfelten Türen.
    »Und wenn es nun keine Architektin war?«, sagte Molsen schmunzelnd mit hochgezogenen Augenbrauen. Er war offensichtlich erleichtert über diese Wendung des Gesprächs. Er entspannte sich wieder, seine Hände wurden ruhiger, und er legte sie auf die Lehnen des Sessels, die Arme weit ausgebreitet.
    Malbek schüttelte den Kopf. »Es war eine Frau.«
    »Sie haben recht. Es war meine Tochter.«
    »Sie ist Architektin?«
    »Nein. Betriebswirtin.«
    »Donnerwetter, eine vielseitige Begabung, Ihre Tochter. Das da ist aber nicht von ihr«, sagte Malbek.
    Im Regal neben dem Besprechungserker stand in Augenhöhe ein aus dunklem Holz geschnitzter, handgroßer Drache. Aus der Mitte des Leibes züngelten Flammen empor, im wütend aufgerissenen Maul prangten scharfe Zähne, anscheinend aus Elfenbein. Vor ihm stand das Objekt seiner Angriffslust, ein faustgroßer Plastik-Donald, der mit ärgerlicher Miene den rechten Ärmel seines blauen Matrosenanzuges hochkrempelte und mit entschlossenem Ausfallschritt auf den fauchenden Drachen zuging.
    »Irrtum, Herr Kommissar. Auch das hat sie arrangiert. Der Drache war ein Geschenk unserer Werft in Nanjing.«
    »Und der Donald?«
    »Den hat sie dazugekauft.«
    »Wie alt
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