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Totenschleuse

Totenschleuse

Titel: Totenschleuse
Autoren: Dietmar Lykk
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Malbek Harder die Autoschlüssel in die Hand und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich rufe mir ein Taxi und mache der Reederei meine Aufwartung. Sie beordern in meinem Auftrag eine Kollegin zur Gerichtsmedizin, die Frau Schneider bei der Identifizierung betreut, und fahren in einfühlsamem Fahrstil mit ihr dorthin. Plaudern Sie mit ihr, beleuchten Sie alle Fenster ihres Herzens. Sie haben doch welche, oder?«
    »Aber …«
    »Es sollte Ihnen nicht schwerfallen, eine einfühlsame Kollegin zu finden. Vielleicht wär das was für unsere Neue aus Schleswig, Kommissarin Hoyer.«
    Als sie die Treppe hinuntergingen, öffnete sich die gegenüberliegende Wohnungstür, sie drehten sich um, und eine junge Frau mit blauem Auge sah sie abschätzend vom Treppenabsatz an.
    »Von wegen Presse! Das sind die Bullen! Die Schneider hat doch wieder gesponnen!«, rief sie laut in ihre Wohnung.

3.
     
    Malbek ließ sich vom Taxi zum Anleger der Kanalfähre an der Kanalstraße fahren. Die Passagier- und Fahrradfähre trug den stolzen Namen »Adler«, wurde im Volksmund allerdings wegen ihrer Kastenform liebevoll »Schuhkarton« genannt. Sie verband die durch den Kanal getrennten Kieler Stadteile Wik und Holtenau.
    Ein Containerfrachter zog als Letzter einer Schleusenfüllung gemächlich vorbei, und es würde noch Minuten dauern, ehe die Fähre das Zeitfenster nutzen konnte, in dem der Kanal für ihre Überfahrt frei war.
    Malbek hatte in seiner Kindheit mit seinem Bruder und seiner Mutter von Schleswig aus mehrere Ausflüge zur Holtenauer Kanalfähre gemacht. »Auf Kreuzfahrt gehen« hatten sie das genannt. Sie waren mehrmals hintereinander mitgefahren, ohne auszusteigen. Da alle Fähren über den Kanal von Gesetzes wegen gratis waren, kostete der Spaß nichts.
    Die Fähre presste sich an den Anleger, und die Gangway klappte auf. Einige Wanderer mit vollen Rucksäcken stiegen aus.
    Malbek war der einzige Passagier, der einstieg. Die Pendler mussten noch arbeiten, und den Touristen war es wahrscheinlich zu grau und regnerisch.
    Die Fähre hatte in der Kurve nach dem Ablegen ruckartig starke Schlagseite, sodass er sich am Geländer der Leiter zum Steuerhaus festhalten musste.
    »Sie dürfen hier aber nicht einfach so raufkommen.« Der Fährmann musterte Malbek misstrauisch. Im nächsten Atemzug stellte er fest: »Sie sind nicht aus Holtenau«, als würde dies sein Verbot erklären.
    »Nee, ich bin aus Kiel.«
    »Sind Sie von der Polizei?« Er sah mit dem gleichen misstrauischen Blick zu den Schleusentoren hinüber. Gleichzeitig bewegte er mit der linken Hand einen Joystick, der sich auf einer Armatur links neben seinem Sitz befand. Ein Steuerrad wie früher gab es nicht mehr.
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte Malbek. Vielleicht war seine Lederjacke noch nicht alt und speckig genug.
    »Ich kenn meine Fahrgäste. Und wie ein Tourist sehen Sie nicht aus.«
    »Und wie sehen die aus?«
    »Anders. Nicht so wie Sie. Eben anders.« Er sah Malbek amüsiert an. Aber nicht abfällig. Es war ein unübersehbarer Schuss Freundlichkeit dabei. Mit einer Prise Arroganz, die das Etikett »Mir kannst du nichts« trug.
    »Fährt hier auch jemand von der Reederei Molsen öfters mit?«
    »Ach die, die fahren meist über die Brücke.« Er deutete westwärts zur Hochbrücke, die den Eingang zur Passage durch Schleswig-Holstein Richtung Nordsee wie ein Torbogen markierte.
    »Und wer fährt von der Reederei nicht über die Brücke, sondern mit Ihnen?«
    »Na, das Madamchen.«
    »Wen meinen Sie damit?«
    »Warten Sie ab. Sie wollen doch zur Reederei.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil Sie ständig danach fragen. Und wegen dem jungen Seemann. Darüber spricht doch jeder hier.«
    »Haben Sie ihn vorgestern Abend hier gesehen, oder ist er mit Ihnen gefahren?«
    »Nee, sein Schiff, die ›Christian Molsen‹, war ja vorgestern in der südlichen Schleusenkammer, da ist er gleich beim Seemannsheim und auf dem Wiker Kanalufer gewesen. Haben Sie schon einen Verdacht?« Er nahm sein Fernglas und sah damit zur Schleuse. War das ein Hinweis oder Routine?
    »Wir ermitteln in alle Richtungen. Woher wissen Sie das eigentlich alles?«
    »Auf beiden Anlegern warten morgens und nach Feierabend immer jede Menge Leute, da ist der ›Adler‹ pickepackevoll. Ich krieg hier oben viel mit, wenn die da unten an der Treppe palavern. Meist steigt denn auch jemand so wie Sie hier hoch und schnackt mit mir über das Neueste.«
    »Und das ist dann bestimmt ein Holtenauer.«
    »Stimmt, Herr
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