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Totenschleuse

Totenschleuse

Titel: Totenschleuse
Autoren: Dietmar Lykk
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Daumen und Finger festhalten, die Zangen kriegen Sie nicht nach hinten, das muss man wissen …« Höger hielt inne und sah den Fotografen ärgerlich an, der eine Nahaufnahme von den Wollhandkrabben auf der Leiche machte.
    »Muss der so viele Fotos haben?«, fragte Höger und sah hilfesuchend zu Malbek. Er bedeutete Vehrs und Harder, mit dem Entfernen der Krabben zu beginnen. Die holten sich jemand von der herumstehenden Schutzpolizei und der Spurensicherung und gaben den Crashkurs Högers im »Wollhandkrabbenfangen« weiter. Jemand wurde ins Dorf geschickt, um dicke Handschuhe zu besorgen.
    »Keine Angst, Herr Höger«, sagte Malbek. »Das ist der Polizeifotograf.«
    »Ich mein ja bloß. So ‘n Foto in der Zeitung kann mir das Geschäft ruinieren.«
    »Diese Fotos kommen nicht in die Zeitung, sondern in unsere Ermittlungsakten. Das ist einer von uns, verstehen Sie? Von unserer Spurensicherung. Nicht von der Zeitung. Sie können also ganz beruhigt sein. Verkaufen sich die Viecher tatsächlich so gut?«, fragte Malbek.
    Höger holte tief Luft. »Früher war ich ja mit den Reusen nur auf Aal gegangen, aber dann hatten die Wollhandkrabben vom Kanal Besitz ergriffen, da hab ich meine Reusen technisch aufgerüstet mit schnittfestem Kunststoffnetz, um sie gegen die Scheren resistent zu machen. Dann Kontakte zu Restaurants und den Kieler Chinesen aufgenommen, jetzt liefere ich pro Tag zweihundert bis vierhundert. Langsam hatte sich das dann über die chinesische Gemeinde Kiel bundesweit herumgesprochen, bei Wollhandkrabben-Höger aus Kiel-Holtenau, ausgezeichnete Qualität. Der große Rest, den schick ich in die ganze BRD. Das wird bei uns in der Garage in Styropor verpackt und mit Express versendet.«
    Malbek hatte Höger unterschätzt. Das war wie fürs Fernsehen.
    »Wann waren Sie das letzte Mal hier, um nach Ihren Reusen zu sehen?«
    Höger zog die Stirn in Falten. Sein Blick folgte einem mächtigen Schiffsbug, den die Nebelbänke über der Wasseroberfläche freigaben. Der Nebelvorhang darüber riss auf und gab den Blick auf das Containergebirge frei, das majestätisch vorbeiglitt. Als die Kommandobrücke auftauchte, sagte Höger bedächtig: »Nee, da war noch nichts da, da bin ich mir sicher.«
    »Ja, aber wann, wann genau war das denn?« Malbek forschte im wettergegerbten Gesicht des Fischers, als ob er die Gedanken erraten könnte. Malbek war sicher, dass Höger eine Schau abzog. Die Sache machte ihm Spaß. Also sagte er die Wahrheit. Vielleicht. Auf jeden Fall spielte er ein Spiel.
    »Ja, nee. Nee, ja. So wie immer eben …« Höger zuckte mit den Schultern und sah Malbek bemüht an. »Gestern. So wie heute.«
    »Also Sie meinen, zur gleichen Uhrzeit?«
    »Jaa.« Er sah wieder zum Kanal. Noch immer Container. Der nächste Frachter.
    »Und wann war das genau?«
    »Ich hab nicht auf die Uhr geguckt.«
    Malbek atmete tief durch.
    »Nu hab ich Ihnen aber einen Schreck eingejagt, nicht?« Höger löste seinen Blick von dem Riesenschiff und hatte wieder sein spitzbübisches Lächeln aufgesetzt. »Ein Toter und keine Uhrzeit. Das muss doch schrecklich sein für einen Kommissar, nich?«
    »Ja. Entsetzlich.« Malbek hätte ihm am liebsten eine gescheuert.
    »Gucken Sie mal.« Höger zeigte mit dem Finger schräg nach oben. »Da guckt die Sonne um diese Jahreszeit manchmal durch den Nebel durch. Zwischen den Bäumen dahinten. Dann ist es halb zehn. Warum soll ich meine Öljacke ausziehen und den Pulli hochrollen, um auf die Uhr zu sehen?«
    »Es war also ungefähr halb zehn, gestern, als Sie das letzte Mal hier waren und nach Ihren Reusen gesehen haben. Ist Ihnen da etwas aufgefallen?«
    »Nö …«
    »Könnte es sein, dass Sie die Leiche übersehen haben?«
    »Was?«
    Malbek sah ihn ernst an. Bitterernst.
    »Aber … so was übersieht man doch nicht, Herr Kommissar …«
    »Doch. Wenn sie etwas weiter im Reet lag und die Viecher sich da schon einmal satt gefressen haben, und dann in der Reuse waren, bei dem Fang, den Sie gestern um halb zehn ungefähr ausgeräumt haben.«
    »Das ist doch Tünkram, Herr Kommissar.«
    »Woher wollen Sie das denn wissen, wenn Sie hier nichts Auffälliges gesehen haben?«
    »Ja, nee. Nee, ja. Ich hab doch nichts …«
    »Ich nehme an, Ihre Kunden warten schon ungeduldig auf Sie. Ihre Personalien haben wir ja. Ich wünsche Ihnen noch Petri Heil, oder wie sagt man das unter Fischern?«
    Höger sagte gar nichts mehr und war innerhalb von Sekunden in seinem Boot und im Nebel
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