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Totenschleuse

Totenschleuse

Titel: Totenschleuse
Autoren: Dietmar Lykk
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würden sie sich schon jahrelang kennen.
    »Ich habe den Eindruck, dass Sie mich schon sehnsüchtig erwartet haben«, sagte Malbek, als sie in den ersten Stock gingen.
    »So würde ich das nicht ausdrücken. Aber nun sagen Sie mal, was ist das nur für eine unangenehme Geschichte?« Er öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer und bat Malbek mit einer weit ausholenden Geste, einzutreten. »Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Kommissar? Nehmen Sie doch Platz.«
    Eine Serviererin mit weißem Schürzchen, weißer Bluse und schwarzem Rock deckte den Besprechungstisch. Tee, Kaffee, Sandwiches, Kekse. Hauchdünnes Porzellan. Eine gebratene Hähnchenkeule war leider nicht dabei.
    Malbek ging zu den hohen Fenstern hinter Molsens Schreibtisch.
    »Mein Großvater hat dieses Zimmer, sein Arbeitszimmer, als den ›Holtenauer Balkon‹ bezeichnet«, sagte Molsen und stellte sich neben Malbek.
    Man hatte einen Überblick über das gesamte Schleusenareal und die gegenüberliegende Kanalseite. Die Seemannsmission war nur deshalb nicht sichtbar, weil drei Containerfrachter in der nördlichen Schleusenkammer die Sicht versperrten.
    Die Serviererin fragte ihren Chef, ob es so recht sei und er noch weitere Wünsche habe. Er machte eine Geste, die sie wohl als Antwort verstand, sie machte einen Knicks und ging zur Tür. Bevor sie den Raum verließ, drehte sie sich für einen Moment um, warf Malbek einen Blick zu, als ob sie etwas sagen wollte, doch im nächsten Moment wandte sie sich mit gesenktem Kopf ab und schloss die Tür leise hinter sich.
    »Wie ist die Stimmung bei Ihren Mitarbeitern?«
    »Sie meinen, wegen dieser Sache hier?«, fragte Molsen.
    »Ja, wegen des Mordes an Markus Peters.« Malbek fragte sich, ob es noch andere Gründe für eine schlechte Stimmung in der Reederei gab.
    »Also bisher hat mich niemand darauf angesprochen. Außer Herrn Geerdsen natürlich.«
    »Wer ist Herr Geerdsen?«
    »Er ist zuständig für Personalangelegenheiten. Also, ich glaube, dass viele hier von der Sache noch gar nichts mitbekommen haben. Herr Peters gehörte ja zur Schiffsbesatzung. Er war nicht hier im Hause beschäftigt.«
    »Wer ist der würdige Herr auf dem Bild?« Malbek betrachtete ein Porträt in vergoldetem Stuckrahmen, das neben Molsen an der Wand hing. »Ihr Großvater?«
    »Ja. Ursprünglich hatte die Reederei ihren Sitz in Rendsburg. Aber nur in der zweiten Reihe, er hatte keine Sicht auf den Kanal. Vor ihm residierte die Konkurrenz. Und davon gab es damals reichlich in Rendsburg. Als es aufwärtsging, verlegte mein Großvater den Sitz nach Holtenau. Er wollte sich nicht unter das gemeine Volk mengen.« Molsen lachte auf. »Schlimmer noch, er wollte hier auf der rechten Kanalseite einen eigenen Frachthafen bauen, vor oder direkt hinter der Hochbrücke. Man hat ihn für verrückt gehalten. Damals war auch an eine Erweiterung des Kanals nicht zu denken, wie sie jetzt betrieben wird. Und in Rendsburg wurde in den letzten Monaten ein neuer Frachthafen für die Windkrafträder gebaut. Er war zu früh mit seinen Visionen.«
    Molsen stellte sich mit verschränkten Armen neben Malbek und redete weiter, während er auf die Schleusenanlage sah. »In Altona, an der Palmaille, wissen Sie, wer da alles gebaut hat, nur um auf die eigenen Schiffe zu schauen? Die Großen, die ganz Großen. Damals, ich meine, vor hundert Jahren, hatte das einen rationalen Hintergrund. Man konnte sich bequem vom Arbeitszimmer aus ein Bild vom Zustand der eigenen Frachtsegler machen, wenn sie von großer Fahrt aus Übersee zurückkamen. Denen sah man es doch gleich an, wie die Stürme ihnen zugesetzt hatten, wenn man sie nach Monaten oder Jahren wiedersah. Dann endlich konnte man den Gewinn ausrechnen. Jedenfalls bildete man sich das ein. Denn nur der Gang an Deck zeigt die Wahrheit, hat mein Großvater immer mit erhobenem Zeigefinger gesagt. Mein Vater hat es anders, sachlicher, aber schwächer formuliert: Man merkt es auf der Brücke, ob irgendetwas nicht stimmt.«
    Molsen machte eine Pause, als müsse er Luft holen. »Alles hat sich geändert. Alles.« Er nahm seine Brille ab und hielt sie prüfend ins Sonnenlicht. Seine Hände zitterten, kaum merklich, aber für Malbek deutlich genug.
    »Heute ist das alles überflüssig, irrational nennt man das. Ich habe überlegt, mit allem, der Reederei nach Sylt zu ziehen. Aber das kann ich meinem Großvater doch nicht antun. Sehen Sie nur, dieser Anblick …« Er deutete zu der Schleusenkammer, vor der sich das Schleusentor
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