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Totenschleuse

Totenschleuse

Titel: Totenschleuse
Autoren: Dietmar Lykk
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Kommissar.«
    Malbek war erstaunt. »Hat man mich im Stadtteil angekündigt?«
    »Ich hab in den Jahren so ‘n bisschen Menschenkenntnis angesammelt.«
    »Kannten Sie den Toten?«
    »Er ist manchmal rüber zu Molsen. Und zurück. Wollen Sie auch gleich wieder mit zurück?«
    »Was? Nein!«
    Eine Gruppe Fahrradausflügler hatte die kleine Fähre gefüllt.
    Als Malbek wieder unten an Deck von der Treppe stieg, rief er nach oben zum Fährmann: »Sie sind doch auch nicht aus Holtenau! Sie haben so einen fremden Schlag in der Zunge, so wie …«
    »Ich bin ein Kind Ostpreußens, meine Eltern waren Flüchtlinge. Und nu aber raus mit Ihnen!«
    Malbek zwängte sich durch die Leute an der Gangway, die ihn neugierig anstarrten, und sprang auf den Holtenauer Anleger. Er schlenderte die Kanalstraße entlang bis zum Tiessenkai. Vor einem Café saßen Gäste in dicken Pullovern und musterten ihn neugierig.
    Malbek suchte sich einen freien Tisch. Vor ihm lagen die Kanaleinfahrt und die Schleusenanlage. Hier war Markus Peters von Bord gegangen, rechts das Seemannsheim, vor dem er gestanden hatte. War Markus Peters absichtlich vor das Haus gegangen, damit man ihn auf der Kamera sehen konnte, sehen, wohin er sich gewandt hatte? Hatte er überhaupt telefoniert?
    »Möchten Sie die Speisekarte?« Ein Kellner mit weißer Schürze stand plötzlich vor Malbek. »Ich kann Ihnen Wollhandkrabbe an Knoblauchjus empfehlen.« Er wies auf die Tafel neben dem Eingang, an die er gerade etwas geschrieben hatte.
    »Ganz frisch von unserem Kanalfischer, nehme ich doch an?«, fragte Malbek.
    Der Kellner nickte stolz und schrieb auf seinen Block.
    »Nein, danke, nur einen Café au Lait. Nicht geschüttelt, nicht gerührt.«
    Der Kellner sah ihn eine Sekunde lang irritiert an, rettete sich in ein künstliches Lächeln und verschwand im Café.
    Malbek hatte das durchaus ernst gemeint. Als der Café au Lait kam, war er homogen, als ob er im Küchenmixer gewesen wäre. Er liebte es jedoch, wenn er den Klecks aufgeschäumte Milch obenauf mit dem Löffel langsam verrühren konnte. Das hatte meditativen Wert, wie ein Strandspaziergang an einem windigen Tag. Er hatte sich das nicht ausgedacht, sondern Jette hatte es ihm beigebracht. In der Zeit, als er mit Hilfe seines Kollegen Eric Lüthje in Flensburg seine Rehabilitation durchboxte, nach acht Jahren unschuldig verbüßter Haft.
    Am Tisch rechts von ihm sah es nach Nussschnitten und Käsekuchen aus, links konnte er eindeutig Schwarzwälder Kirschtorte und Donauwellen identifizieren. Letztere hatte seine Mutter immer bevorzugt. Sein Magen knurrte unüberhörbar nach Hähnchenkeule, vielleicht paniert, nach Wiener Art.
    Er unterdrückte den plötzlichen Impuls, bei Harder anzurufen und zu fragen, ob er Hoyer mitgenommen hatte und wie die Identifizierung durch Dörte Schneider gelaufen war. Harder würde sich schon melden, wenn es so weit war. Nein. Das würde er nicht tun. Malbek ahnte, was dort in der Gerichtsmedizin passiert war. Harder hatte nichts begriffen. Manchmal fand Malbek sich unerbittlich und hinterhältig.

4.
     
    Das Reedereigebäude befand sich auf einer Anhöhe auf der nördlichen Schleusenseite und bestand aus einer Gründerzeitvilla und einer daran angeklebten schmucklosen, einstöckigen Stahlkonstruktion mit viel Glas. Auf dem Flachdach des Anbaus stand ein mannshoher Schiffsschornstein aus den fünfziger Jahren mit dem Reedereiwappen: oben und unten eine schmale »Bauchbinde« in Schwarz, ein weißes M auf blauem Grund. Davor war ein kleiner Firmenparkplatz, auf dem zwei sehr teure Wagen und einige unauffällige Mittelklassewagen standen.
    Als er der Dame am Empfang seine Dienstmarke zeigte, griff sie gelassen zum Telefon und meldete ihn an.
    Bevor Malbek die Dame in ein Gespräch verwickeln konnte, kam der Reeder die Treppe heruntergeeilt. Er war etwas untersetzt, graue Schläfen, irgendwie zu lange Arme, die er hin und her schlenkerte wie ein pubertierender Junge. Der maßgeschneiderte dunkelblaue Anzug versuchte vergeblich, das Problem zu verbergen. Die Krawatte war graublau, auf seine Augenfarbe abgestimmt. Die gleichmäßige Urlaubsbräune, der zu dunkel gefärbte Dreitagebart und eine Nickelbrille verliehen ihm einen gewollt jungenhaften Ausdruck, der im Gegensatz zu den vielen Knitterfalten im Gesicht und dem unregelmäßig eingefärbten Haupthaar stand.
    »Ich grüße Sie, Herr Kommissar!«, rief ihm Axel Molsen gut gelaunt entgegen. Er schüttelte ihm herzlich die Hand, als
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